Wie handeln im Konfliktfall?

Fehler passieren, wo immer Menschen zusammenarbeiten. Fehler und Missstände sind aber immer eine Chance für Unternehmen und ihre Mitarbeitenden, besser zu werden. Die Graf Recke Stiftung hat dazu dieses Jahr eine ganze Reihe von Maßnahmen und Anlaufstellen geschaffen, mit deren Hilfe Schwachstellen aufgedeckt, Fehler abgestellt und Fehlentwicklungen verhindert werden sollen. Eine dieser Stellen ist die neue Ombudsstelle der Graf Recke Stiftung. Simone Kern ist die Vorsitzende der Ombudsstelle und Andreas Becker der stellvertretende Vorsitzende, beide sind Mitarbeitende der Graf Recke Stiftung. Im Interview mit Roelf Bleeker erklären sie die Aufgaben und Ziele der Ombudsstelle

Sie sind Vorsitzende der neuen Ombudsstelle der Graf Recke Stiftung.  Worum geht es bei dieser neuen Stelle?

Simone Kern: Im Betriebsverfassungsgesetz ist der paritätische Ausschuss fest verankert. Die paritätische Mitbestimmung  dient der Schaffung eines Gleichgewichtes der Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Unsere Antwort darauf ist die vom Vorstand und der MAV eingerichtete neue Ombudsstelle. Sie soll eine Anlaufstelle für alle Mitarbeiter ausallen Geschäftsbereichen sein.

Andreas Becker: Grundsätzlich versucht die Ombudsstelle einen konstruktiven Umgang bei Konflikten, die insbesondere die persönliche Würde eines Mitarbeitenden verletzen, zu vermitteln und mit den Konfliktparteien Lösungen auszuhandeln, die künftig einen respektvollen Umgang miteinander ermöglichen sollen.

Was genau ist die Aufgabe der Ombudsstelle?

Kern: Mit ihr sollen Konflikte benannt, angesprochen bearbeitet und vor allem nicht verschwiegen oder gar vertuscht werden. Mit der Ombudsstelle wollen wir die Rahmenbedingungen festlegen, wie im Konfliktfall gehandelt werden sollte. Vor allem können sich aber die Mitarbeitenden ganz konkret Hilfe holen, wenn es zum Beispiel Probleme am Arbeitsplatz geben sollte.

Becker: Konflikte, Mobbing, Diskriminierung oder auch sexualisierte Gewalt sind Themen die jeden Arbeitgeber herausfordern und vorkommen können. Die Ombudsstelle prüft Beschwerden und Hinweise solcher Art die an uns herangetragen werden und kann auf vielfältige Art und Weise zu einer professionellen Konfliktlösung beitragen. Wir sind keine gerichtliche Instanz die am Ende jemanden freispricht oder verurteilt, wir sind Vermittler, zeigen Lösungsmöglichkeiten auf und geben Empfehlungen.

Welche Art von Konflikten könnten das sein?

Kern: Die Ombudsstelle unterstützt bei Konflikten, bei Mobbing, Diskriminierung und Grenzverletzungen, bei rechtlich unkorrektem Verhalten und Beschwerden. Missstände sollen offen benannt werden, ohne dass derjenige, der sie anzeigt, irgendwelche Konsequenzen oder gar Nachteile fürchten muss. Auch rechtlich unkorrektes Verhalten kann angezeigt werden. Auf Basis solcher Hinweise geht es dann darum, gemeinsame Lösungsansätze zu entwickeln. Wir sind neutral, unabhängig und allparteilich. Wir unterliegen der Schweigepflicht und sichern absolute Diskretion zu.

Becker: Als Ombudsstelle prüfen wir Meldungen und Hinweise auch darauf, ob sie von uns bearbeitet werden können. Wenn nicht, leiten wir gegebenenfalls weiter an die richtige Stelle. Das kann zum Beispiel auch die Mitarbeitendenvertretung sein oder eine externe Konfliktberatungsstelle. Wir sind ganz bewusst aber keine Rechtsberatungsstelle.

Mobbing ist ein heute viel zitierter Begriff. Was bedeutet er eigentlich und wo fängt Mobbing aus Ihrer Sicht als Vorsitzende der Ombudsstelle an?

Kern: Mobbing stammt aus dem Englischen und leitet sich ab von "to mob", also schikanieren, mob bedeutet aber auch Meute, Pöbel, Bande. Es bedeutet im engeren Sinne, dass Menschen von einer oder mehreren Personen ständig oder wiederholt und regelmäßig schikaniert werden, gequält und seelisch verletzt werden. Typische Mobbinghandlungen sind auch die Verbreitung falscher Tatsachen, die Zuweisung sinnloser Arbeitsaufgaben, Gewaltandrohung, soziale Isolation oder ständige Kritik an der Arbeit. Nach Schätzungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes sind rund 1,5 Millionen Menschen in Deutschland Mobbingopfer am Arbeitsplatz. Eine Form des Mobbings ist auch das "Bossing", also das Mobbing von oben. Die Schikanen gehen dann vom Vorgesetzten oder einer in der betrieblichen Hierarchie höher platzierten Person aus.

Becker: Uns ist auch durchaus bewusst, dass der Begriff Mobbing teils inflationär eingesetzt wird. Nicht jeder Krach oder jede Streitigkeit mit Kolleginnen oder Kollegen oder der oder dem Vorgesetzten ist automatisch Mobbing. Das bedeutet, dass man schon genau prüfen muss was sich hinter einem Vorwurf verbirgt, das kostet manchmal auch etwas Zeit. Wichtig ist es aber, auf diesem Gebiet zu sensibilisieren.

Wie erkennen Betroffene ersten Alarmzeichen?

Kern: Meistens beginnt es mit Ungerechtigkeiten und Schikanen und es dauert manchmal, bis der Mitarbeitende realisiert, dass der Vorgesetzte ihn im Visier hat. Es sind dann oft erst einmal Sprüche in Gegenwart der Kolleginnen und Kollegen. Es kann dann aber auch so weit gehen, dass den Betroffenen Aufgaben entzogen werden, die ihnen vertraut sind und mit denen sie sich profilieren konnten. Sie werden dann entweder mit Hilfsarbeiten betraut oder aber gar nicht mehr in die Arbeitsprozesse einbezogen, Privilegien entzogen oder der direkte Zugang zu wichtigen Stellen verwehrt, ihnen werden Informationen vorenthalten oder Arbeitsaufgaben übertragen, die nicht bewältigt werden können. Konkret ist das natürlich von Einrichtung zu Einrichtung verschieden, aber dahinter steht meist die Absicht, den Mitarbeitenden zu einer freiwilligen Kündigung oder zu einem Aufhebungsvertrag zu bewegen. Die Ursache fürs „Bossing“ ist dabei nicht unbedingt in gesunkenen Leistungen zu sehen ist, sondern kann ebenso gut auf persönlichen Animositäten beruhen. Gerade beim "Bossing" haben die Betroffenen wegen der innerbetrieblichen Hierarchieverhältnisse nur begrenzte Möglichkeiten, den Konflikt aus eigener Kraft zu lösen.

Becker: Konkurrenz, Leistungsdruck, Neid oder Missgunst können der Auslöser für Mobbing sein. Mobbing ist nicht auf die „Chefetage“ begrenzt. Mobbing kann von Kollegen und Vorgesetzten ausgehen. Ein wesentliches Merkmal bei Mobbing ist sicherlich, dass sich bestimmte negative Handlungen oder Situationen regelmäßig wiederholen.

Was kann der Betroffene konkret tun?

Kern: Wir möchten alle Betroffenen dazu ermutigen, uns aufzusuchen, wenn sie das Gefühl haben, Konflikte selbst nicht mehr klären können. Wir suchen dann das konstruktive und lösungsorientierte Gespräch. Ohne dieses Gespräch schwelt der Streit weiter. Es kommt zu Schuldzuweisungen und ersten verbalen Angriffen und das Mobbing etabliert sich. So weit darf es gar nicht kommen, denn so erreichen Mobber ihr Ziel: Irgendwann hält das Opfer dem Druck nicht mehr Stand und verlässt den Arbeitsplatz. Er kündigt, ihm wird gekündigt, er wird versetzt oder ihm wird ein Aufhebungsvertrag angeboten, den der Gemobbte in seiner aussichtlosen Situation nur noch annehmen kann. Je früher Betroffene reagieren und uns einbeziehen, desto mehr können wir tun. Deshalb ist es uns auch so wichtig, zu sensibilisieren und so früh wie möglich zum Schutz potenzieller Opfer beizutragen.

Becker: Wir können manchmal im ersten Schritt auch einfach nur beratend für den Hilfesuchenden tätig sein, ohne das daraus direkt weitere Handlungen resultieren müssen. Es hilft ja auch Betroffenen oft, sich erst mal zu entlasten um dann im Nachgang zu schauen, was kann ich tun und was macht jetzt als nächster Schritt Sinn?

Sie sprachen weitere Probleme an, für die die Ombudsstelle zuständig sei: Diskriminierung, rechtlich unkorrektes Verhalten und Grenzverletzungen. Worum geht es hier?

Frau Kern: Unter Diskriminierung werden alle Äußerungen, Handlungen oder Unterlassungen verstanden, die aufgrund persönlicher Eigenschaften wie ihrer Herkunft, Kultur, Hautfarbe, Behinderungen, Geschlecht, sexueller Identität, politischer Anschauungen oder Religion verächtlich machen, herabwürdigen oder benachteiligen. Rechtlich unkorrekt handelt, wer bewusst oder unbewusst, jedenfalls zu seinem eigenen Vorteil oder eigenen Nutzen, gegen gesetzliche Regelungen verstößt. Alle Mitarbeitenden, die davon Kenntnis bekommen, aufgerufen unmittelbar zu reagieren und dies nicht etwa aus falsch verstandener Kollegialität zu dulden. Bei Grenzverletzungen und sexualisierter Gewalt geht es darum, dass die betroffene Person unerwünschten Handlungen ausgesetzt ist, zum Beispiel Annäherungsversuchen oder unerwünschtem Körperkontakt, aber auch verbale Äußerungen. Bei allen Formen sexualisierter Gewalt werden sexuelle Handlungen ohne die Einwilli­gung der Betroffenen für das Ausleben von Macht und Dominanzbedürfnissen instrumentalisiert. Es geht dabei im Kern nicht um Sexualität, sondern um das Erleben von Macht und Überlegenheit.

Becker: Das sind Themen die kleine wie große Arbeitgeber betreffen. Die Graf Recke Stiftung hat mit der Vielzahl ihrer Tätigkeitsfelder und mittlerweile über 2500 Mitarbeitenden natürlich auch allein aufgrund ihrer Größe eine Verantwortung zur Regelung und Einleitung von auch präventiven Maßnahmen, wenn es um solche brisanten Themen geht – das kommt dem Mitarbeitenden und letztlich natürlich auch der Stiftung selbst zu gute.

Wie sind Ihre Erfahrungen in den ersten Monaten seit Einrichtung der Ombudsstelle?

Kern: Es ist deutlich erkennbar, dass Mitarbeitende aus allen Bereichen und Hierarchien die Anlaufstelle nutzen, um das konstruktive Gespräch aktiv mitzuführen und um nach gemeinsamen fairen Lösungen zu suchen. Das Interesse an einer verbesserten Kommunikation und einem fairen Miteinander ist groß.

Becker: Ich freue mich, dass die Mitarbeitenden der Stiftung die Ombudsstelle seit ihrer Gründung wahrnehmen und da, wo wir bisher gebraucht wurden, auch positive Ergebnisse erzielen konnten. In unseren „Goldenen Regeln“ steht der Satz: „Wir verhalten uns unseren Kolleginnen und Kollegen sowie der Stiftung gegenüber loyal, fördern eine vertrauensvolle Teamarbeit und stärken unsere Dienstgemeinschaft.“ Die Ombudsstelle ist ein weiteres Signal für diese Haltung.

Eine gekürzte Version des Interviews ist auch in der Ausgabe 4/2019 der recke:in – das Magazin der Graf Recke Stiftung – zu finden.

 

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