Zurück zur Teilhabe?

Das Coronavirus und die damit verbundenen Maßnahmen sind schon für psychisch weitgehend gesunde Menschen eine hohe, für viele sogar zu hohe Belastung. Welche teils dramatischen Auswirkungen sie bei Menschen mit psychischen Erkrankungen, aber auch Menschen mit körperlich oder auch geistigen Behinderungen haben, beschrieb Reimund Weidinger, Leiter der Graf Recke Sozialpsychiatrie & Heilpädagogik, bereits im Mai in einem Interview. Einen Monat später hat sich die Lage in der Pandemie in Deutschland verändert; Regeln wurden eingeübt, die Überlastung der Krankenhäuser vermieden und erste Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus bereits gelockert. Wie wirkt sich die aktuelle Lage auf die Graf Recke Sozialpsychiatrie & Heilpädagogik aus?

Corona habe "die Grundsätze der UN-Behindertenrechtskonvention und all die Bemühungen zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in rasanter Geschwindigkeit in weiten Teilen ins Gegenteil verkehrt", so beschrieb Reimund Weidinger, Leiter der Graf Recke Sozialpsychiatrie & Heilpädagogik, im Mai die weitreichenden Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus – hier geht es zum Interview von damals. Einen Monat später ist die Situation in Deutschland eine veränderte: Die ausgebliebene Überlastung der Krankenhäuser und zahlreiche "Lockerungen" haben den Alltag der Menschen ein wenig entspannt.

Auch Klienten und Bewohner der Graf Recke Sozialpsychiatrie & Heilpädagogik erleben die "Lockerungen", indem sie zum Beispiel Teile ihrer vertrauten Tagesstruktur zurückbekommen: "Die Tagesstätte ist seit 14 Tagen wieder offen, aber mit den notwendigen Schutzmaßnahmen", erklärt Geschäftsbereichsleiter Weidinger. Damit alle 28 Teilnehmenden wieder die Angebote der Tagesstätte an der Grafenberger Allee in Düsseldorf wahrnehmen können, kommen sie zeitversetzt in kleinen Gruppen. "Außerdem nutzen wir das Café Geistesblitz als Räumlichkeit für die Tagesstätte mit, um mehr Platz zu haben." Das Café selbst muss nämlich noch geschlossen bleiben. "Das ist ein erheblicher organisatorischer Aufwand für die Mitarbeitenden, passende Konzepte für die Hygiene- und Abstandsregelungen zu erstellen und einzuhalten", weiß der Geschäftsbereichsleiter, er weiß aber auch, wie wichtig die Tagesstruktur und die Begegnungen für viele Klienten sind. "Die haben auch von sich aus gefragt, wann können wir endlich wiederkommen? Wenn wir das weiter rausgezögert hätten, wäre es ganz sicher an vielen Stellen zu Krisen gekommen", so Reimund Weidinger. Dies sei auch eine Bestätigung dafür, wie wichtig die tagesstrukturierenden Angebote für die Klienten sind. So auch in der Arbeits- und Ergotherapie, die letzte Woche wieder öffnete, auch hier mit entsprechenden Maßnahmen. "Zum Beispiel können in der Schreinerei, wo sonst sechs Klienten gleichzeitig waren, nun nur drei sein", erklärt Weidinger. Einfacher sei es dagegen im Gartenbereich, wo sich die Klienten auf dem großzügigen Gelände an der Grafenberger Allee "austoben können".

Der Gedanke der Teilhabe wurde bei den Öffnungen wieder verstärkt in den Blick genommen, berichtet Reimund Weidinger weiter. "Bei alldem, was in Richtung Lockerung ging, sind alle Instrumente wieder mitaktiviert worden." So sei der Beirat beim Tagesstätten-Konzept und den angepassten Besuchsregelungen involviert worden. Manches dagegen bleibe problematisch. So gelte immer noch, dass die Einrichtungsleitung bei Quarantäne- oder Isolationsmaßnahmen einseitig verfügen dürfe, dass ein Klient seine Wohnung verlassen und in einen gesondert ausgewiesenen Bereich ziehen müsse. "Laut Bundesteilhabegesetzt sind unsere Klienten Mieter wie andere auch", erläutert Weidinger. "In der Pandemie werden sie aber eher als Heimbewohner betrachtet." Sie sind weiterhin eingeschränkt bei Besuchen und im Falle einer Infektion gilt nach wie vor, dass wir den Mieter aus seinem Zimmer herausholen und mit anderen Betroffenen in einen eigens ausgewiesenen Bereich umsiedeln." Dafür müsse der Träger nicht einmal auf Anweisung des Gesundheitsamts warten, sondern könne dies selbst so verfügen. Mangels Raumkapazität werden hierfür Büro- oder Aufenthaltsräume ausgeräumt und zu solchen Quarantänestationen umfunktioniert. "Das wäre so, als würde man Mieter im Infektionsfall aus ihren Wohnungen holen und mit anderen infizierten Mietern in einen Gemeinschafts- oder Multifunktionsraum umsiedeln", sagt Weidinger. " Die Maßnahmen im Laufe der Pandemie haben uns dazu gezwungen, in private Lebensbereiche einzugreifen."

Wichtig sei dabei, dass die Mitarbeitenden das alles sehr gut vermittelt und begleitet hätten, meint Reimund Weidinger: "Ich kann nur mit höchstem Respekt den Hut davor ziehen, was in der Pandemie von Bereichsleitern und Mitarbeitenden geleistet wurde."

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