Der Großteil schafft die Verselbstständigung mit Kind

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Das Betreuungsnetzwerk Mutter/Vater-Kind ging 2016 aus der Mutter-Kind-Gruppe im Dorotheenviertel Hilden hervor. Mit dem Umzug an die Gerresheimer Straße wurde das Konzept verändert und die Gruppe öffnete sich auch für Väter. Im Interview erklärt Teamleiterin Andrea Prinz das Konzept, wie junge Eltern in die Gruppe kommen, wie ihnen geholfen wird und was passiert, wenn sie mit ihrer Elternschaft trotzdem nicht zurechtkommen.

Frau Prinz, 2016 ist die Gruppe vom Areal in Hilden an die Gerresheimer Straße gezogen? Warum?

Prinz Die Räumlichkeiten im Dorotheenviertel Hilden reichten nicht mehr aus. Hier haben jetzt alle ihr eigenes Badezimmer, vorher hatten wir noch Gemeinschaftsbäder. Außerdem können wir nun auch Mütter mit zwei Kindern aufnehmen. Wir haben insgesamt sechs Plätze in der Gruppe und drei in den Apartments.

Wer kommt ins Betreuungsnetzwerk und wie kommt der Kontakt zustande?

Zum größten Teil werden minderjährige Mütter oder Väter aufgenommen, aber auch junge Volljährige. Es werden auch Eltern aufgenommen, die schon von ihrem Kind getrennt waren und die nun an einer Rückführung arbeiten. Zum größten Teil kommen die Anfragen vom Jugendamt, in selteneren Fällen über eine Direktanfrage übers Internet oder andere Mütter. Manchmal gibt es auch Hinweise, weil es schon im Elternhaus der jungen Mutter Probleme gab, manchmal auch aufgrund von Auffälligkeiten im Krankenhaus oder auch erst später im Kindergarten. Die Entscheidung über die Aufnahme trifft das Jugendamt. In einem Hilfeplangespräch werden die Ziele vereinbart.

Was sind konkret die Hilfebedarfe?

Die jungen Eltern müssen erstmal in ihre Rolle als Mutter oder Vater reinwachsen. Hier geht es um die Grundversorgung, den Aufbau einer Bindung, die Entwicklung einer Fürsorge fürs Kind und dessen Förderung. Es geht darum, Erziehungsfähigkeiten und eine eigene Perspektive zu entwickeln. Wir vermitteln Haushaltsangelegenheiten oder auch den sozialen Umgang miteinander, das Einhalten von Vereinbarungen und Regelungen. Die Wahrnehmung von eigenen Bedürfnissen gehören aber ebenso dazu und die Entwicklung beruflicher Perspektiven.

Wie lange können die Eltern in den Wohngruppen und der Apartmentbetreuung bleiben?

Das ist individuell, aber im Durchschnitt zwei Jahre. Jemand hat es aber auch mal in einem halben Jahr geschafft.

Wie sieht ein Weg in die Verselbstständigung aus?

In der Gruppe bieten wir ein Phasenmodell an. Es geht darum, immer die Perspektive der jungen Eltern vor Augen zu haben: Wo stehen sie und wo wollen sie hin? Dabei ist es auch wichtig klarzumachen, dass Höhen und Tiefen nichts Schlimmes sind. Es gibt drei Stufen der Entwicklung in der Gruppe in Richtung Verselbstständigung. Das Apartment im Haus kann als weitere Möglichkeit der Verselbstständigung genutzt werden. Das Apartment gehört aber noch zum stationären Angebot der Gruppe, wir sind im Notfall ganz schnell da. Wir erleben aber auch, dass sich manche dann plötzlich einsam und allein fühlen. In einem Fall haben wir auch schon eine Mutter in die Gruppe zurückgeholt. Wenn sie dann ausziehen, werden die meisten noch über eine flexible Betreuung durch die Graf Recke Stiftung begleitet oder eine Betreuung über individuelle Fachleistungsstunden. Das geschieht dann aber außerhalb der Gruppe.

Wiedersehen beim Sommerfest

Weiß man was über den weiteren Verlauf der Eltern-Kind-Beziehung, nach dem die Begleitung abgeschlossen ist?

Der Großteil schafft die Verselbstständigung mit Kind und so in die Rolle als Elternteil zu wachsen, dass die Versorgung stabil und durchgehend gewährleistet ist. Oft besuchen auch Mütter aus der Vergangenheit das Sommerfest der Graf Recke Stiftung im Dorotheenviertel Hilden, um nochmal Kontakt aufzunehmen, oder rufen immer mal wieder an.

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Das Betreuungsnetzwerk Mutter/Vater-Kind ging 2016 aus der Mutter-Kind-Gruppe im Dorotheenviertel Hilden hervor. Mit dem Umzug an die Gerresheimer Straße wurde das Konzept verändert und die Gruppe öffnete sich auch für Väter. Weitere Infos zum Betreungsnetzwerk gibt es auf der Homepage der Graf Recke Stiftung.

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Was passiert, wenn es dennoch nicht klappt mit der Elternschaft?

Die Elternteile, die zu der Entscheidung gekommen sind, nicht die Versorgung im vollen Umfang für das Kind leisten können, werden auch bei dieser Entscheidung begleitet und gestärkt, loslassen zu können, um dem Kind eine positive Entwicklung zu ermöglichen. Wir sehen auch das als eine positive Entwicklung an, wenn jemand loslassen kann, wenn es nicht klappt. Dann ist es die Aufgabe, einen guten Übergang zu finden, damit der Elternteil sehen kann: Mein Kind kommt in gute Hände und ich habe somit dafür gesorgt, dass der richtige Weg gegangen wird. Auch das ist eine hervorragende Leistung, wenn das geschafft wird. Dann bleiben die Eltern meist auch in Kontakt mit ihren Kindern, aber müssen dann für sich selbst einen anderen Weg finden. Sie können ja später trotzdem nochmal gute Eltern werden. Schrecklich ist es vor allem, wenn sich die Elternschaft mit traumatischen Erlebnissen verbindet.

Muss Eltern auch abgesagt werden aus Mangel an Plätzen?

Wenn Bedarf ist, ist dieser meistens akut, und dann müssen wir natürlich leider auch mal absagen, wenn kein Platz zur Verfügung steht.

Was macht das Betreuungsnetzwerk der Graf Recke Stiftung aus?

Alle Eltern erhalten eine interne therapeutische Begleitung. Ein spezielles Angebot ist auch der angeleitete Kinderbereich, den wir montags bis freitags am Morgen anbieten. Außerdem sind alle unsere Mitarbeitenden nach Marte Meo geschult. Auch das Phasenmodell ist eine Besonderheit bei uns.

Eine weitere Veränderung ist ja, dass Sie inzwischen auch Väter aufnehmen. Gab es schon Aufnahmen?

Ja, wir hatten auch schon ganz am Anfang einen Vater mit einem Kind hier. Leider hat das aber nicht geklappt. Seither konnten wir leider keine Anfrage hierzu bedienen, da wir zu diesen Zeiten voll belegt waren.

Wie funktioniert es denn grundsätzlich mit Müttern und Vätern unter einem Dach?

Natürlich ist ein Zusammenleben ein bisschen anders. Rollen müssen erst geklärt werden und der Schutzraum für alle wird besonders betrachtet. Keiner darf in seiner Rolle ausgenutzt werden. Da gab es bei vereinzelten Müttern schon mal einen anderen „Augenaufschlag“, um Wünsche erfüllt zu bekommen oder anders beachtet zu werden. Besonderheiten gibt es in jeder Gruppenkonstellation, auch ohne Mann. Aber für eine gemischte Gruppe braucht es natürlich spezielle Konzepte und auch geschützte Räume. Zum Beispiel gibt es für die Väter einen Extra-Waschraum. Und wenn ein männlicher Bewohner in der Gruppe ist, dann ist für diese Zeit auch ein männlicher Ansprechpartner da.

Da gab es schon mal einen anderen ,Augenaufschlag', um Wünsche erfüllt zu bekommen.

Andrea Prinz

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