40 Jahre für Menschen mit Demenz: Immer gut beschäftigt

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Seit fast 40 Jahren sorgt Adelheid Reiners im Dorotheenviertel Hilden dafür, dass ältere Menschen eine Alltagsstruktur durch Beschäftigung erleben. Gemeinsam mit ihrem mittlerweile 28-köpfigen Team hat sie als Leiterin des Sozialtherapeutischen Dienstes das Angebot nach und nach erweitert. Mit der Eröffnung des Ahorn-Karrees folgt der nächste wichtige Schritt, damit auch Menschen mit Demenz »eine echte Chance bekommen, hier zu Hause zu sein«.

Wenn es so etwas wie ein Leitthema in Adelheid Reiners’ Leben gibt, dann dieses: Menschen brauchen etwas zu tun, damit sie sich wohlfühlen. Ganz gleich, in welchem Alter und in welcher gesundheitlichen Verfassung sich jemand befindet. Und weil sie davon überzeugt ist, hat die heute 62-Jährige ihr gesamtes Berufsleben diesem Thema gewidmet, seit fast 40 Jahren am selben Ort: in den Einrichtungen für Seniorinnen und Senioren im Dorotheen- viertel Hilden; mehr als 20 Jahre davon als Leiterin des Sozialtherapeutischen Dienstes der Senioreneinrichtungen Ahorn, Buche und Linde. Weggehen war nie eine Option. Sicherlich, sagt Adelheid Reiners heute, es habe die Momente gegeben, in denen sie über eine berufliche Veränderung nach- gedacht hat. Sie hat sie stets verworfen. Selbst nach der Geburt ihrer beiden längst erwachsenen Töchter ist sie nach spätestens zehn Monaten wieder zurückgekommen. »Ich fand das immer so schön hier, bis heute«, erklärt sie ihre Treue und lächelt. Vor allem das Haus Ahorn, wo Menschen mit schwerster Demenz leben, hatte es ihr stets angetan, der große Garten ganz besonders, wo die Bewohnerinnen und Bewohner sich trotz ihrer Erkrankung frei bewegen können, was sehr zu ihrem Wohlbefinden beitrage.

Therapie mit Holz, Metall oder Ton

Das war schon so, als Adelheid Reiners vor 39 Jahren im 1976 erbauten »Altenkranken- heim« der Diakonie Düsseldorf in Hilden ihre Tätigkeit als Beschäftigungs- und Bewegungstherapeutin aufnahm; es war ein Modellprojekt, eines von rund 15 in ganz Deutschland. Zu dritt seien sie in diesem Fachgebiet gewesen, auf zweieinhalb Stellen, erinnert sie sich. Vorausgegangen war für die in Schwerte aufgewachsene Pfarrerstochter eine Ausbildung zur Beschäftigungs- und Arbeitstherapeutin in Remscheid. So habe sie nebenbei diverse Handwerksfähigkeiten erlernt, sei es mit Holz, Metall oder Ton. »Dass man mit Beschäftigung therapieren kann, das hat mich von Anfang an fasziniert.« Daran hat sich bis heute nichts geändert, um sie herum dagegen umso mehr. Zunächst formal, denn Mitte der 90er- Jahre wurde die Hildener Einrichtung an den Dorotheenheim e. V. verkauft; um die Jahrtausendwende übernahm dann die Graf Recke Stiftung die gerontopsychiatrische Einrichtung mit 119 Plätzen sowie weitere Häuser der Altenpflege und Jugendhilfe des Vereins auf dem Campus. Ihr Berufsbild nennt sich mittlerweile Ergotherapie, die Beschäftigungs- und Bewegungstherapie habe man im Haus recht bald in Sozialtherapeutischer Dienst (STD) umbenannt, erzählt Reiners. Was geblieben ist, das sei ihr Antrieb: »Meine Überzeugung, dass Menschen, die desorientiert und im normalen Alltag in Gefahr sind, ein Recht haben, in geschütztem Rahmen Freiheit zu erleben.« Denn eines ist klar: Für die allermeisten Menschen, die auf richterlichen Beschluss im Haus Ahorn untergebracht sind und allesamt unter gesetzlicher Betreuung stehen, wird es wohl keinen Weg mehr zurück geben.

Als sie mit ihrer Arbeit begonnen habe, sei man noch davon ausgegangen, man könne die Bewohnerinnen und Bewohner so weit therapieren, dass sie in eine andere Wohnform wechseln könnten, berichtet Adelheid Reiners. Den wenigsten aber sei dies gelungen. Am Anfang vielleicht einem pro Jahr, inzwischen sei die Quote noch niedriger. Die Menschen seien mittlerweile stär- ker erkrankt, wenn sie ins Haus Ahorn kommen, erklärt die STD-Leiterin. »Sie sind verwirrter, leiden unter deutlichen Wahrnehmungsstörungen.« Das mag mit der höheren Lebenserwartung zu tun haben, die demenzielle Erkrankungen wahrschein- licher macht. Das liege aber vor allem daran, dass in der Regel länger und mit professioneller Unterstützung zu Hause gepflegt werde, sagt sie. Darum kämen die Menschen später in die Einrichtungen. Erst dann, »wenn es gar nicht mehr geht. Wir sprechen von Menschen, die ihre Wohnung verlassen und nie wieder zurückfinden würden.« Und so hat sich auch die Betreuungsintensität verändert. Seien damals noch zwei Mitarbeiterinnen mit sieben Bewohnerinnen und Bewohnern etwa zum Einkaufen gegangen, begleite man heute nur noch drei oder vier, sagt Adelheid Reiners. Doch solch kleine Ausflüge sind wichtig für die Menschen, wie überhaupt das gesamte Angebot der Alltagsbegleitung und Freizeitgestaltung, offeriert von mittlerweile 28 Kolleginnen und Kollegen in den drei Häusern im Dorotheenviertel Hilden, längst auch an den Wochenenden. Es gehe um sinnstiftende Beschäftigungsangebote auf Grundlage der jeweiligen Vorlieben, »ob das gemeinsames Kochen ist, Spazierengehen oder Spielen«, sagt sie. Vier Räume standen dem Sozialtherapeutischen Dienst im ans Haus Ahorn angebundenen Verwaltungsgebäude bis 2005 zur Verfügung, ein Gruppenraum für Gespräche oder Singen beispielsweise, dazu ein Handarbeits-, ein Werk- und ein Gymnastikraum. Die Abtrennung vom Wohnbereich sei für Menschen mit Demenz aber nicht ideal: »Die Bewohner haben schnell wieder vergessen, dass sie das gerne machen«, sagt Adelheid Reiners. Deshalb sei man schon seit der Jahrtausendwende verstärkt mit dem Angebot in den Bewohnerbereich hineingegangen. Mit einem monatlichen Nachtcafé etwa, mit Kinoabenden oder Kegeln im Foyer wurde dieses Angebot zusätzlich erweitert.

Gesellschaftlich hat sich einiges getan

»In der häuslichen Umgebung verspüren alle mehr Sicherheit«, weiß die erfahrene Therapeutin. Für Bettlägerige, die man sonst gar nicht erreicht hätte, ist dies gar die einzige Möglichkeit, einbezogen zu werden. Doch auch diese Menschen, die sich nicht selbst beschäftigen können, »haben dar- auf ein Recht«, sagt Adelheid Reiners. Das sei schon immer ihr Ansatz gewesen und mittlerweile im Wohn- und Teilhabegesetz so auch festgeschrieben. In diesem Sinne habe sich gesellschaftlich einiges getan, freut sie sich.

Ziel sei es, die Ressourcen der Menschen zu aktivieren und deren Fähig- keiten so lange wie möglich zu erhalten. Dass ihr und ihrem Team das insbesondere bei den von Demenz Betroffenen künftig noch besser gelingen wird, dafür stehen die Chancen gut. Denn: Wenngleich mit erheblichen Verzögerungen, soll nun bald der Umzug ins neue Ahorn-Karree anstehen. Die bedeutendste Änderung: Bislang leben bis zu 40 Menschen in den drei Wohnbereichen im Haus Ahorn, teilen sich zudem jeweils nur eine Küche. Künftig werden maximal zwölf Personen eine Hausgemeinschaft bil- den, umgeben von Präsenzkräften. »Diese sind die Anlaufpunkte für die Bewohner, der Anker. Es wird viel mehr so sein, wie man das von zu Hause kennt«, erläutert Adelheid Reiners. Das gebe auch Struktur. »Dass man zum Beispiel gemeinsam den Tisch deckt, Kaffee kocht. Allein der Geruch von frischem Kaffee kann Erinnerungen wecken.« Biografiearbeit sei bedeutender geworden und höre beim Einzug in die Einrichtung nicht auf, betont Adelheid Reiners. »Menschen verändern sich, auch hier.« Zur Arbeitsweise gehört deshalb, was Profis »validierende Kommunikation« nennen. Man belasse den Bewohner in seiner Lebenswelt und versuche nicht, ihn in die existierende Realität zurück- zuholen. »Wenn eine Verhaltensweise nicht gefährlich ist, lasse ich das zu«, sagt die STD- Leiterin. »Wir wollen, dass der Bewohner zum Handelnden wird, dass nicht immer alle anderen es besser wissen.« Das stärke Selbst- bestimmtheit und Selbstwertgefühl. Ihre Maxime: »Behandle die Menschen so, wie du selbst behandelt werden wolltest.«

Gelassener geworden

Gemeinsam mit einem tollen Team, das die- sen Grundsatz teile, habe man in den Jahren viel erreicht, »sodass die Menschen eine echte Chance bekommen, hier zu Hause zu sein«, sagt Adelheid Reiners. Mit der anstehenden Eröffnung des Ahorn-Karrees sei das »jetzt eine runde Sache«. Und so wird die 62-Jährige im kommenden Jahr mit einem guten Gefühl in ihren etwas vorgezogenen Ruhestand gehen. Auf ihren Garten und darauf, mehr Zeit mit ihrer Familie zu verbringen, freue sie sich sehr. Auch persönlich habe sie viel mitgenommen, sagt sie. »Ich habe gelernt, meine eigenen Bedürfnisse zu erkennen.« Eines haben die Bewohnerinnen und Bewohner Adelheid Reiners aber vor allem gelehrt: Gelassenheit. Selbst dann, wenn sie mal die Backschüssel sucht und diese sich partout nicht finden lässt. »Das Haus verliert nichts«, erinnert sie sich schmunzelnd an den Sinnspruch einer Bewohnerin. »Und vergesslich«, sagt sie, »sind wir doch alle schon mal.«

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