Meister im Wartestand
Seit 2019 lebt Fred Holzheuer im Haus Ahorn, aus gesundheitlichen Gründen, wie er selbst sagt. Doch seine Einschränkungen beim Gehen sind das kleinere Problem, der 83-Jährige leidet zudem an schwerer Demenz. Nun hofft der ehemalige Industrie- und Brandmeister auf einen baldigen Umzug ins neue Ahorn-Karree. Auch seine Tochter Kerstin Merker wünscht ihm, der einst aufopferungsvoll seine Mutter gepflegt hat, das von Herzen.
Hier im Neubau ist Fred Holzheuer in seinem Element. Jetzt, da das Ahorn-Karree noch eine Baustelle ist, kann er die brandrechtlichen Belange in seinem künftigen Zuhause gut inspizieren. »Alles in Ordnung so weit«, sagt er fachmännisch. Der 83-Jährige kann das durchaus beurteilen, war er in seinem Berufsleben doch nicht nur Industriemeister Glas, sondern auch Brandmeister bei der Werkfeuerwehr. Jetzt werde es aber langsam Zeit mit dem Umzug, fügt er dann an. Das Haus Ahorn, das sei ja schon »ein recht alter Bau«.
Das Haus Ahorn ist seit September 2019 das Zuhause von Fred Holzheuer. Davor hat er mit seiner Frau in Erkrath gewohnt, das ging irgendwann nicht mehr. »Ich bin aus gesundheitlichen Gründen hier eingezogen, wegen des Alters, weil ich beim Gehen eingeschränkt bin«, sagt er. »Auch um die Familie zu entlasten.« In der Tat geht Fred Holzheuer am Rollator, und doch ist das nicht das eigentliche Problem. »Die offizielle Diagnose ist Demenz«, erklärt seine Tochter Kerstin Merker und schaut zu ihm hinüber. Ihr Vater nickt. »Gestern ist gestern und heute ist heute«, sagt er dann.

Gestern, das war der leidenschaftliche Sänger Fred Holzheuer, der bei zwei Kirchenchören aktiv war, dazu beim »MGV Sängerbund 1882 Erkrath«, er erinnert sich gut. »Da war ich sogar Vorsitzender«, sagt er nicht ohne Stolz. Gestern, das war seine Zeit in der ehemaligen Gerresheimer Glashütte, wo er als Industriemeister Glas gearbeitet hat. Er war zunächst in der Flaschenproduktion beschäftigt, später dann im Bereich Flachglas-Ornamentglas verantwortlich tätig. »Ich habe auch meinen Brandmeister dort gemacht«, erzählt er. »Das lief parallel. Wenn die Sirene ging, nahmen wir die Beine in die Hand.«
Er, der sich selbst als DDR-Flüchtling bezeichnet, hatte es geschafft. Mit seiner Familie war er 1955 über Berlin und Hamburg irgendwann im Kreis Mettmann gelandet. Bald lernte er seine spätere Frau bei einer Tanzveranstaltung in Erkrath kennen, 1960 wurde geheiratet, 1967 kam Tochter Kerstin zur Welt. Es war eine gute Zeit, bis, ja bis die Glashütte geschlossen wurde. »Mein Arbeitsplatz wurde nach Indien ausgelagert«, sagt Holzheuer, noch immer betrübt. Er war einer der Letzten im Betrieb, musste als Meister die Abwicklung der Standortverlagerung übernehmen. Mit 60 ging er in den Vorruhestand. Und doch nahm er die Situation damals an, kümmerte sich laut seiner Tochter jahrelang rührend um seine betagte Mutter. Diese litt ebenfalls an Demenz, bis zu ihrem Tod habe er sie gepflegt.
Die Pandemie und der Ukrainekrieg haben die Wiederaufbaumaßnahmen im Ahorn-Karree weiter verzögert. Ein Wasserschaden hatte das Leuchtturmprojekt 2020 kurz vor dem ursprünglichen Einzugstermin zurückgeworfen. Die neue recke:in 3/2020, die Mitte September erscheint, berichtet von den Menschen, die sich nun noch weiter gedulden müssen: den Seniorinnen und Senioren mit schwerer Demenz, ihren Angehörigen, und von den Mitarbeitenden, die sich fachlich auf das neue Konzept des Leuchtturmprojekts vorbereiten. Das Heft kann vorbestellt werden: Einfach eine Mail mit Namen und Adresse an reckein@graf-recke-stiftung.de senden. Wer in den Verteiler aufgenommen werden und einmal im Quartal das aktuelle Unternehmensmagazin zugesendet bekommen möchte, kann dies ebenfalls an diese Mailadresse mitteilen.

Vor etwa zehn Jahren aber begann sich ihr Vater zu verändern. Zuvor stets ruhig und freundlich im Wesen, »hatte er nun das Gefühl, er müsse stets verteidigungsbereit sein«, berichtet Kerstin Merker. Ihr Vater sei mitunter distanzlos und verbal verletzend geworden. Dazu kamen Orientierungsschwierigkeiten, die immer schlimmer wurden, er sei zudem mehrfach gestürzt. Über mehrere Jahre hinweg wurde Fred Holzheuer in der gerontopsychiatrischen Ambulanz der Uniklinik Düsseldorf behandelt, die Medikamente wechselten. »Eines Tages wurde mein Vater auf der Straße aufgefunden und ins Krankenhaus gebracht«, berichtet die Tochter. In der LVR-Klinik in Langenfeld habe man noch versucht, medikamentös etwas einzustellen, »aber es war nicht mehr möglich«.
Fred Holzheuer hätte von nun an eine Betreuung rund um die Uhr benötigt. »Meine Mutter hätte das nicht leisten können, sie ist auch schon 82«, sagt Kerstin Merker. Eine 24-Stunden- Pflegekraft in der eigenen Wohnung, gelegen zudem im dritten Stock und ohne Aufzug, lehnte das Paar rundweg ab. Man habe natürlich überlegt, ihn zu sich zu nehmen, »aber mein Mann und ich sind berufstätig. Wie hätte das gehen sollen?« Und so habe die Familie schweren Herzens die Entscheidung mit dem Umzug ins Haus Ahorn gefällt, eine spezialisierte Einrichtung, zumal mit Perspektive auf das neue Ahorn-Karree. »Und meine Mutter kann meinen Vater jederzeit besuchen, sie fährt zum Glück noch Auto«, sagt sie.

»Ich fühle mich wohl hier«, versichert Fred Holzheuer zunächst. Er berichtet vom Memory, das er an einem elektronischen Tisch gespielt habe. Er gucke Fernsehen und höre Musik, von Volksmusik bis Klassik. Dazu gehe er zu den Gottesdiensten, wenn er könne, mache auch bei der Gymnastik mit, ergänzt seine Tochter. Doch durch Corona sei vieles lange Zeit nur eingeschränkt möglich gewesen. »Ich muss das in Kauf nehmen, muss nehmen, was mir geboten wird«, sagt Fred Holzheuer – und wirkt auf einmal nicht mehr ganz so überzeugt.
Es trifft nun gerade ihn
Ihr Vater fühle sich abgeschoben, verdeutlicht Kerstin Merker. »Da ist er an dem einen oder anderen Tag auch wütend drüber.« Und sie verstehe das gut: Das kleine Zimmer, in dem er bis heute nicht wirklich heimisch sei, hätte sie ihrem Vater gerne erspart; auch die Gemeinschaftstoilette, die sanierungsreifen Duschen. Seit Sommer 2020 hätte das alles anders sein sollen, die baulichen Verzögerungen nennt die 55-Jährige »ein Drama«. Dadurch treffe das nun alles ihren Vater, gerade ihn, der einst so für seine Mutter da war. Sie schluckt. »Ich fühle mich hilflos, das tut einem weh.«
Doch Kerstin Merker sieht auch die positiven Aspekte: In einem Umfeld ohne viele Reize gehe es ihrem Vater gut. Dies sehe anders aus, wenn er sich mit der »realen Welt« befassen müsse. »Und vonseiten des Personals geben sich hier alle sehr viel Mühe«, bestätigt sie. Auch auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen werde eingegangen. »Das kenne ich auch anders«, sagt die examinierte Krankenschwester. Und so ist es an Fred Holzheuer selbst, wieder für Optimismus zu sorgen. »Ich bin in Hoffnung, dass der Umzug jetzt bald über die Bühne geht«, sagt der 83-Jährige mit einem Lachen. Am Brandschutz sollte es nach seiner Einschätzung jedenfalls nicht scheitern.