Rap mit Botschaft

|

Sieben junge Leute aus Wohngruppen der Graf Recke Stiftung haben einen Song zum Thema Kinder- und Jugendrechte erarbeitet. Beim Rap-Workshop im Dorotheenviertel Hilden brachten sich die 11- bis 19-Jährigen unter Anleitung von internen und externen Profis gleichermaßen mit ein. Es ist ihr Text, ihr Lebensgefühl. Der Kinder- und Jugendrat der Stiftung hat das gerne finanziell unterstützt. Aus gutem Grund: „Die fühlen das.“

„Ein Lied kann eine Brücke sein“, sang Joy Fleming einst. Es war 1975 Deutschlands Beitrag zum Eurovision Song Contest, der damals noch vornehm Grand Prix Eurovision de la Chanson genannt wurde. Das ist lange her, und irgendwie scheint dieses Lied, irgendwo angesiedelt zwischen Popschlager und Soul, aus einer anderen Welt zu sein. Erst recht hier, im Lernraum auf dem Campus Hilden, wo es an diesem Tag um Sprechgesang und Beats geht, um Flow-Techniken und Hiphop-Kultur. Kurzum: es wird gerappt. Die Botschaft allerdings ist dieselbe.

Eine Woche lang treffen sich sieben junge Leute zwischen 11 und 19 Jahren aus verschiedenen Wohngruppen der Graf Recke Stiftung im Dorotheenviertel Hilden zum Rap-Workshop. Sie haben sich um die Teilnahme beworben und wurden unter 15 Interessenten ausgelost. Jetzt, am dritten Tag, ist das Stück, das sie zusammen mit Bruno Welsch textlich entwickelt haben, schon fast fertig. Gemeinsam singen sie den Refrain, thematisieren in den Zeilen Kinder- und Jugendrechte, und nebenbei ihre eigene Lebenswelt. Schon am nächsten Tag wird es ins Studio gehen. Doch noch ist der Workshop-Leiter nicht ganz zufrieden. „Ich will Euch hören“, ruft er, wandert durch den Raum. „Auch hier.“ Die Jugendlichen legen sich ins Zeug. „Gut so, besser“, sagt er dann und nickt. So könnte es gehen.

Sein Urteil hat Gewicht, Bruno Welsch ist nicht irgendwer. Als „Bruno MC“ ist er Teil der international besetzten Rapcrew "Words Beyond Borders" (WBB) aus Düsseldorf, „und auf dem Weg zur Professionalität“, wie er bescheiden anmerkt. Was etwa in Auftritten im Zakk oder dem StadtStrand mündete, begann auch bei dem 26-Jährigen einst mit einem Workshop unter Anleitung von Profis. Und so will er seine Erfahrungen nun ebenfalls weitergeben, hat bereits mehrere Workshops mit Jugendlichen geleitet. „Meine Aufgabe besteht darin, die Ideen rauszuhören, das alles zusammenzubringen“, erklärt er. Egal was jemand mitbringe, „am Ende sollen alle ihren Anteil haben“.

Die eigenen Talente genutzt

Keine leichte Aufgabe, wie Derrick Schmitz einräumt. Der Sozialpädagoge, der die Idee mit dem Workshop hatte und für den stimmlichen Part verantwortlich zeichnet, ist Springer im Fachbereich 2, und im Nebenberuf Gesangslehrer. Als solcher agiert er unter anderem als Vocal-Coach für Bruno Welsch. Und so kam eins zum anderen: Er habe Bruno angefragt, dieser mit Freude zugesagt, und er die Sache dann im „Arbeitskreis Kultur und Kreativität“ des Fachbereichs „festgezurrt“, wie Schmitz lachend erzählt. In Liam Schäfer hatte er zudem schnell einen Mitstreiter gefunden: Der Erzieher in der Hochintensiven Betreuung Bissingheim war selbst Rapper, produziert als „Empire on the Beat“ mittlerweile für andere Künstler und ist beim Workshop ebenfalls für die Beats, auf die gerappt wird, zuständig.

„Wir haben interne Ressourcen gesucht, haben unsere Talente genutzt“, meint Christian Fischer, Leiter der dortigen Intensivwohngruppe. Er war vom Projekt ebenfalls begeistert und übernahm gerne den organisatorischen Part, kümmert sich „als Mädchen für alles“ etwa um den Ablauf und die Räumlichkeiten. In der Wohngruppe Metzkausen hat das Team sogar ein professionelles Tonstudio aufgetan; Pädagoge Robin Hausberg wird die Crew am nächsten Tag begleiten und die Aufnahme verantworten. Darüber hinaus holte Fischer den Kinder- und Jugendrat (KiJuRat) der Stiftung mit ins Boot, den er als Erzieher selbst pädagogisch begleitet. Der KiJuRat unterstützt den Workshop aus seinem eigenen Budget.

Mit guten Gründen: Für Maurice, einer von drei Sprechern im Rat, sei dies zum einen eine gute Möglichkeit, „zu zeigen, dass es uns gibt, es ist ein Projekt mit Außenwirkung“. Dass Kinder- und Jugendrechte zum zentralen Thema gemacht werden, zudem ein Song entsteht, „der die Realität in den Wohngruppen abbildet“, fand der 20-Jährige unterstützenwert. „Wir sind die Generation, die viel Hiphop hört“, bekräftig Ratskollege Fabian. „Der Workshop, der Song, das ist kreative Arbeit, bringt Spaß“, glaubt der 19-Jährige – und zeigt, wie zum Beweis, auf Damian und Noah, die am Nachbartisch gerade mit Engagement und unter heftigem Kopfnicken ihre Zeilen einstudieren. „Die fühlen das“, sagt Fabian.

Beim Rap-Workshop die eigenen Talente entdecken

Fabian aus dem Kinder- und Jugendrat.
Kilian ist selbst ein großer Hiphop-Fan.
Für Damian ist Rap im Moment sein Leben.
Christian Fischer: Leiter der Intensivwohngruppe.

Im Moment ist Rap sein Leben

In der Tat: „Im Moment ist Rap mein Leben“, sagt Damian voll Überzeugung. Der Fan von Tupac und Mero schreibt nach eigenem Bekunden aktuell bis zu zwei Texte am Tag. Er liebe dieses Gefühl, eine Message reinzubringen und das Ergebnis vor anderen vorzutragen. In der Schule sei er einmal vor 50, 60 Leuten aufgetreten. „Die Reaktion der anderen gibt mir viel“, berichtet der 13-Jährige. Und auch, wenn Damian stets ein gewisses Lampenfieber verspürt, zuweilen Angst davor hat, den Text zu vergessen; sein Ziel sei es schon, „später mal berühmt zu werden“, bekennt er.

Noah sieht das gelassener: „Vielleicht passiert’s, vielleicht nicht“, meint er. Dabei ist der 17-Jährige ebenfalls schon vor Publikum aufgetreten, hat beim Sommerfest zwei Texte vorgetragen und viel Lob bekommen, wie er erzählt. Und doch habe er es eher für sich gemacht, sagt er. Auch wenn Noahs Onkel sein Geld mit Rap verdient, habe das für ihn nicht oberste Priorität. Texten hingegen sei ein gewichtiger Teil seines Lebens. „Ob ich Kummer habe oder fröhlich bin, ich schreibe das auf.“ Dann lasse er den Beat laufen, die Ideen kämen von alleine, sagt Noah. „Kopf aus, ich lass mein Herz sprechen.“ Er lege dabei, ähnlich wie etwa OG Keemo, großen Wert auf Lyrik, „eine Geschichte zu erzählen in einem Song“.

Kopf aus, ich lass mein Herz sprechen.

Noah

Eine Geschichte soll auch das Stück aus dem Workshop erzählen, das beim Sommerfest im Dorotheenviertel Hilden Ende August erstmals der Öffentlichkeit vorgetragen wurde. Neu war für die beiden Rapper allenfalls, dass dieses Mal das Grundmotiv vorgegeben war. „Dafür hat es gut geklappt“, findet Noah. Damian hat das nicht überrascht, Kinderrechte seien „ein starkes Thema“, meint er. Das geht Kilian genauso. Der 19-Jährige, ebenfalls großer Hiphop-Fan, hat sogar bereits einen Künstlernamen. Als „DJ KS 290“ produziere er eigene Stücke, erzählt er. Den Workshop empfindet er trotzdem als sehr hilfreich. „Bruno bringt jedem, der sich für Rap interessiert, das Wichtigste bei“, lobt Kilian.

Der Workshop soll stärken

Das kann Katharina bestätigen. Sie hatte sich beworben, weil sie sich für Sprache und Musik interessiert, „aber nicht unbedingt für Rap“, wie die 14-Jährige bekennt. Dennoch habe sie erwartet, dass es ein spannendes Projekt werden könne – und wurde bestätigt. Sie habe zuvor schon versucht, Lieder zu schreiben, sei aber auf halber Strecke stecken geblieben. „Es ist wesentlich einfacher, wenn man mit jemandem zusammen arbeitet, weil man sich gegenseitig inspiriert“, so ihre Erfahrung nach drei Tagen Workshop. Sicherlich wäre es schöner gewesen, wenn wenigstens ein weiteres Mädchen in der Gruppe gewesen wäre, meint sie. „Aber es ist auch kein Weltuntergang.“ Katharina lacht.

Frederic und Noah, mit elf Jahren die beiden Jüngsten in der Gruppe, sind ebenfalls angetan. Frederic findet am Workshop „alles gut“, wie er kurz und knapp zusammenfasst. Und Noah, der gerne Deutsch-Rap von Capital Bra oder Mero hört, rappt manchmal selbst vor sich her, egal wo. „Ich kann’s nicht sein lassen, das liegt mir im Blut“, meint er und grinst. Das geht dem zwölfjährigen Brian ganz ähnlich. Manchmal singe er Lieder aus dem Radio mit, aber eher englische, erzählt er. „Weil es Spaß macht.“ Vom Workshop ist er auch deshalb ein bisschen enttäuscht. „Ich würde gerne mehr rappen oder singen“, meint Brian. Man sitze viel rum, es sei „ein bisschen wie in der Schule“.

Die Verantwortlichen nehmen derlei Kritik ernst. Man habe sich mit dem Angebot zunächst bewusst an alle gerichtet, sagt Vocal-Coach Derrick Schmitz, der unter anderem auf die Verständlichkeit des Textes achtet. Ob man alle Altersgruppen und Erfahrungsstufen bei einer möglichen Wiederholung noch einmal mischen würde, müsste man allerdings überlegen, räumt er ein. Vom Grundsatz her allerdings gibt es für ihn keinen Zweifel, dass sich die Woche gelohnt hat. „So ein Workshop kann stärken: Das was ich sage, wird gehört.“

Ihre Lebensgeschichte erzählt

Christian Fischer sieht das genauso. Jugendliche haben seiner Erfahrung nach eine Tendenz zum Tabubruch, zur Grenzüberschreitung. „Da bietet Rap eine Nische, den Mist, den sie erlebt haben, künstlerisch auszudrücken“, meint der Pädagoge. Es gehe darum, in der Musik Dinge zu verarbeiten, auch im Austausch. „Die haben alle unterschiedliche Dinge in ihrem Koffer.“ Und tatsächlich hätten sich die Jugendlichen gegenseitig ihre Lebensgeschichte erzählt, berichtet Derrick Schmitz. „Es ergab sich dafür ein Raum. Das war schön.“ Übergeordnetes Ziel der Jugendhilfe sei es ja, „dass sie für sich eine Perspektive entwickeln. Dass sie Vertrauen fassen können in die Gesellschaft, aber auch in sich selbst.“

Bruno Welsch hat davon bereits einiges gespürt. Gerade für junge Menschen mit schwierigem Hintergrund sei Rap und Hiphop „eine effektive Möglichkeit, aus einer vermeintlichen Schwäche eine Stärke zu machen“, so seine Erfahrung aus diversen Workshops.

Im Song klingt es so einfach: „Alle Kinder haben Rechte, Ihr müsst Sie Euch nur nehmen“, heißt es im Refrain. Dies im Alltag umzusetzen wird zweifellos schwieriger. Doch möglicherweise kann ein Lied dafür tatsächlich eine Brücke sein. Auch ein gerapptes.

recke:newsletter

Was wir bewegen. Was uns bewegt: News und Storys aus der Graf Recke Stiftung.

Jetzt abonnieren