Vom Einzelkämpfer zum Teamplayer
Für Louis gehört Sport zum Leben einfach dazu. Doch was er früher alleine betrieb, macht er jetzt mit Begeisterung in Gemeinschaft. Dafür hat der Heranwachsende aus einer Intensivwohngruppe in Wittlaer genau den richtigen Teamleiter erwischt: Rosario Conti will durch regelmäßige Sportangebote die Gesundheit genauso fördern wie das Miteinander. Auch andere Kinder und Jugendliche sollen regelmäßig in diesen Genuss kommen. Ein neuer Sportverein, initiiert durch die Graf Recke Stiftung, soll dabei helfen.
Sport war Louis (Name geändert) schon immer wichtig. In ganz jungen Jahren hat er es mal mit Fußball probiert, kam in der Gruppe aber nicht gut klar. Er hat sich dann aufs Fahrrad gesetzt, hat weite Touren gemacht, ganz für sich. Wenn man ihn heute fragt, welche Sportarten er mag, findet der junge Mann kaum ein Ende: »Tischtennis, Volleyball, Basketball«, zählt er auf. Und Handball, Badminton und Fußball natürlich. Nichts davon kann Louis alleine betreiben. Ja, sagt er dann, es stimme schon, »der Sport hat mich sozialer gemacht«.

Für Rosario Conti ist ein Satz wie dieser eine Wohltat. Er ist Teamleiter einer Intensivgruppe der Graf Recke Erziehung & Bildung in Düsseldorf-Wittlaer – und arbeitet mit seinen Kolleginnen und Kollegen genau auf dieses Ziel hin: männliche Jugendliche und junge Erwachsene aufs Leben vorzubereiten, ihnen persönliche Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen, ihr Sozialverhalten zu stärken. Und Louis ist einer davon. Er lebt seit einigen Jahren in der Wohngruppe und hat es mit deren Team und ihrem engagierten Leiter gut getroffen. »In meiner früheren Wohngruppe war das nicht so gegeben«, meint Louis. »Hier gibt es eindeutig mehr Sportangebote, und das ist cooler.«
Das hat viel mit Rosario Conti zu tun. Der Erzieher mit Übungsleiterschein C fand einst durch den Sport zu seinem Beruf, als er einst bei einem integrativen Sportprojekt als Teilnehmender ersten Kontakt zur Graf Recke Stiftung bekam. »Ich war selbst noch Schüler und habe damals erkannt, dass dies ein Bereich ist, der mich beruflich reizen könnte«, erzählt er.

Rosario Conti
ist Teamleiter einer Intensivgruppe in Düsseldorf-Wittlaer
Das kam wenig überraschend: Conti hat lange Zeit selbst Fußball gespielt, als Spielmacher im Mittelfeld. Das passe zu seiner jetzigen Position als Teamleiter. »Ich bin nicht der Chef, eher der Dirigent«, meint er lächelnd. Er koordiniere und verteile Aufgaben, das schon. »Aber wichtige Entscheidungen treffen wir im Team. Wie im Sport.«
Dass dieser die Gesundheit fördert, und damit das Wohlbefinden, ist lediglich ein Aspekt. Es geht für die acht jugendlichen Bewohner der Wohngruppe sowie die vier jungen Männer aus der angeschlossenen Verselbstständigungs-WG um mehr: »Um Gemeinschaftsgefühl und Akzeptanz und darum, auch mit Niederlagen umgehen zu lernen«, sagt Rosario Conti. Disziplin ist demnach ein weiteres Feld, das durch Sport bedient werden kann, für ihn, neben Talent, ohnehin der Schlüssel zum Erfolg. Für die Jungs, häufig mit Impulsstörungen, sei es zudem ein wichtiges Ventil, macht er deutlich. »Das dient der Psychohygiene.«
Und so gehört Sport in der Wohngruppe ganz selbstverständlich zum Alltag, von Fußball über Basketball bis Schwimmen. Doch nicht alle seien mit solcher Begeisterung dabei wie Louis, macht der Teamleiter klar. Als er 2016 in Wittlaer angefangen habe, sei das noch anders gewesen. »Da waren viele noch im Verein, das hat nachgelassen.« Heute seien sie eher auf Medien fixiert, meint er. »Wir haben immer wieder Jungs, die mit Übergewicht hier ankommen. Dem wollen wir entgegenwirken.«
Sport verbindet Menschen.
Der Erzieher versucht daher als Vorbild zu wirken, kommt regelmäßig bewusst in Sportkleidung zur Arbeit. Er und zwei seiner fürs Sportangebot zuständigen Kollegen seien zudem bemüht, Jugendliche aus dem gesamten Campus mitzunehmen, wie er sagt. Denn eines sei klar: »Sport verbindet Menschen.«

Durch den Sport einst gut vernetzt
Das sieht Michael Mertens ganz genauso. Deshalb ist der Geschäftsbereichsleiter der Graf Recke Erziehung & Bildung über solch gruppenübergreifende Angebote auch so dankbar, und die anderen Mitarbeitenden seien es genauso, so seine Erfahrung. Dimitra Georgiou, Fachaufsicht im Fachbereich II, kann dem nur beipflichten. Sie, ebenfalls im Besitz eines Übungsleiterscheins C, hat früher im Gruppendienst daher selbst Sportangebote gemacht. »Es steht und fällt mit den Mitarbeitenden vor Ort«, verdeutlicht sie.
Freizeitpädagoge Roland Stroemer war lange Zeit so »eine Ikone des Sports«, wie Michael Mertens ihn nennt. Unter seiner Ägide wurden richtiggehend Turniere veranstaltet und auch Wettkämpfe gegen andere Einrichtungen organisiert; eine Reihe von Pokalen und Urkunden auf den Regalen in den Gruppen zeugen bis heute davon.
Dimitra Georgiou erinnert sich gerne: Die Einrichtungen seien durch den Sport gut vernetzt gewesen. Spiel, Spaß und Spannung sollten bei den Kindern ankommen, sagt sie. »Gemeinsame Trikots haben das Wir-Gefühl gestärkt, und auch der Sechste ist noch mit einer Urkunde nach Hause gegangen.«
»Das hat gut funktioniert, aber eben nur in Wittlaer«, fasst Geschäftsbereichsleiter Mertens zusammen. Stiftungsübergreifend sei eher ein Flickenteppich entstanden. Zudem sei man durch präzisere Nachweispflichten immer mehr eingeschränkt worden mit solch kreativen, übergreifenden Lösungen. »Wir haben nicht alle erreicht, sollten das aber. Wir dürfen das nicht dem Zufall überlassen«, macht er deutlich. Denn spätestens durch Corona sei die Vernetzung selbst in Wittlaer »ein wenig eingeschlafen«, wie Dimitra Georgiou erkannt hat. Und so sei man bemüht, verstärkt Stellenanteile in den Gruppen zu etablieren, die auf Sport ausgerichtet sind. Dafür aber brauche es jeweils ein Konzept, dazu Fachpädagogen mit entsprechender Qualifizierung. Und diese zu finden sei nicht einfach.
Kleine Gruppen im neuen Verein
Was also tun? Die Kinder und Jugendlichen an die Sportvereine vor Ort zu verweisen, wäre eher schwierig. In der Jugendhilfe habe man es oft mit jungen Menschen zu tun, bei denen die Trainerinnen und Trainer an ihre Grenzen stoßen, verdeutlicht Michael Mertens. »Sie sehen sich nicht in der Lage, Jugendliche mit Verhaltensauffälligkeiten in einer Gruppe mitzutragen, das ist der Grundkonflikt.« Warum also nicht selbst einen Verein gründen, der sich als integrativ versteht? Bei dessen Übungsleitern, anders als in den Wohngruppen, das Fachkräftegebot nicht gelten würde? »Der Verein«, sagt Michael Mertens, »ist in der Tat die Antwort.«
Denn dieser wurde jüngst tatsächlich gegründet: »Einbrunger Sport- und Freizeitverein 2022« heißt er und ist seit Kurzem im Vereinsregister eingetragen. Einen Verein mit einem solchen Ansatz gab es laut Michael Mertens bislang nicht, der Stadtsportbund Düsseldorf habe das Angebot daher sehr befürwortet. Dimitra Georgiou fungiert nun als erste Vorsitzende, John Gunawardena, Fachberater im Familien unterstützenden Dienst (FuD), als ihr Stellvertreter. Man gehöre offiziell dem Turnerbund an, sei aber offen für alle Sportarten, das ist der Vorsitzenden wichtig. Einige Übungsleiter haben sich bereits gefunden, nach den Osterferien sollen offiziell die ersten Angebote starten (siehe Kasten).
Diese stehen grundsätzlich allen Interessierten offen. Das Besondere jedoch: Vieles werde mit zwei Übungsleitern angeboten, dazu in kleinen Gruppen, »damit wir den Kindern gerecht werden können«, sagt Dimitra Georgiou. Man wolle mit einem breiten Angebot unter anderem auch diejenigen erreichen, »die sich grundsätzlich für die Größten halten«, sagt sie mit einem Augenzwinkern. Um diesen klarzumachen, dass es Aufgaben und Übungen gibt, die sie nur als Team bewerkstelligen können. Doch genauso richtet es sich an die Unsicheren, »dass diese Mut bekommen, sich etwas zutrauen«. Nicht zuletzt wolle man die Bewegungsmuffel motivieren. »Auch beim Frisbee kann man ins Schwitzen kommen«, sagt Georgiou mit einem Lachen.
Einbrunger Sport- und Freizeitverein
Mit Unterstützung durch die Graf Recke Stiftung haben Mitarbeitende den »Einbrunger Sport- und Freizeitverein 2022 e.V.« ins Leben gerufen. Erste Angebote sollen nach den Osterferien starten, darunter Fitness und Fußball, Volleyball und Badminton. Der Verein ist jedoch für alle Sportarten offen, die sich in der Turnhalle in Wittlaer oder auf den dortigen Außenanlagen umsetzen lassen. Es soll zunächst ein Angebot für die Kinder und Jugendlichen aus den Wohngruppen und Schulen am Campus sein, ist aber grundsätzlich offen für alle. Angebote an anderen Standorten sind ebenfalls denkbar.
Kontakt über Dimitra Georgiou d.georgiou@graf-recke-stiftung.de

Diese Sportart stand bei Louis aus der Wittlaerer Wohngruppe bislang noch nicht ernsthaft auf dem Zettel. Dafür hat der Heranwachsende sich im Sommer zum ersten Mal am Paddeln versucht, am hessischen Edersee. »Wir hatten ein paar Koordinierungsschwierigkeiten, aber es hat Spaß gemacht«, erinnert er sich. Die Kanutour war Teil des Programms der Ferienfreizeit der Wohngruppe, bei der auch Stand-up-Paddling, Beachvolleyball oder Klettern auf dem Programm standen. »Der Edersee war der Knaller«, zeigt sich Louis bis heute begeistert. »Herr Conti organisiert echt viel.«
Der Teamleiter freut sich über das Kompliment. »Wir hängen uns da auch wirklich rein«, sagt er. Ob Quad- oder Tretbootfahren, Spaß soll es den Jungs vor allem machen, aber auch pädagogisch wirken. Wie etwa die 70 Kilometer lange Radtour. »Da lernen sie ihre Stärken und Schwächen kennen, gehen an ihre Grenzen«, sagt Rosario Conti. Das sei für manche zugleich ein Weg zu mehr Selbstbewusstsein: »Wenn sie diese überwinden.«
Mindestens ebenso wichtig ist dem Erzieher aber der soziale Aspekt, der ebenfalls im Gruppenalltag durch sportliche Aktivitäten gefördert wird. Er, der seine praxisintegrierte Ausbildung schon in der gleichen Wohngruppe Graf Recke Erziehung & Bildung gemacht hat, wurde nach eigener Aussage von klein auf durch das Vereinsleben geprägt und durch die Werte, die dort vermittelt werden. Mit »Respekt« benennt er den wohl bedeutendsten. Das hat positive Folgen.
Louis etwa hat sich in den vergangenen drei Jahren nicht nur spielerisch enorm entwickelt, wie ihm sein Teamleiter und Fußballtrainer bescheinigt. »Mir geht es darum, mich mit anderen zu bewegen«, sagt der frühere Einzelkämpfer jetzt mit Überzeugung. Auch Tore gemeinsam zu feiern, genießt Louis mittlerweile sehr. Genauso selbstverständlich ist es für ihn, sich nach dem Spiel mit dem Gegner wieder zu vertragen, wie er betont. »Fair Play halt.«