Zwischen Leistungssport und Kunst
Beruflich hält Sarah Borchert als Assistentin der Referatsleitung dem Team der Unternehmenskommunikation der Graf Recke Stiftung den Rücken frei. In ihrer Freizeit sind bei der 27-Jährigen hingegen Samba und Jive angesagt. Ihre Leidenschaft für lateinamerikanische Tänze hat sie weit gebracht: Mit ihrer Tanzpartnerin Ute Graffenberger landete sie bei den Deutschen Meisterschaften im Equality -Tanzsport auf Anhieb auf dem Silberrang. Für den Erfolg arbeiten beide hart, genießen dafür aber ihre künstlerischen Freiheiten.
In ihrem Arbeitsalltag im Referat für Kommunikation und Kultur (KuK) der Graf Recke Stiftung sorgt Sarah Borchert für Struktur und Ordnung: Seit Anfang 2023 unterstützt sie die Referatsleitung als Assistentin vor allem in organisatorischen Dingen. „Das strukturierte Arbeiten kommt mir entgegen“, sagt sie. Das ist die eine Seite der 27-jährigen Wahl-Düsseldorferin. In ihrer Freizeit hingegen geht sie aus sich heraus, dann schlägt ihr Herz für Samba, Cha-Cha-Cha, Rumba, Paso doble und Jive. Und diese Leidenschaft hat sie mittlerweile weit gebracht. Sehr weit.

Denn bei den Deutschen Meisterschaften im Equality-Tanzsport in Berlin holte Sarah Borchert gemeinsam mit ihrer Kölner Tanzpartnerin Ute Graffenberger 2023 die Silbermedaille im Lateintanz der Frauen (siehe auch Video weiter unten). Das mache sie schon stolz, sagt die gebürtige Duisburgerin. „Es war nicht einfach, da hinzukommen.“ Insbesondere, da die beiden erst ein gutes Jahr in dieser Konstellation zusammen tanzen. Und dennoch: „Wenn ich so überlege, war es ein langer Weg“, meint Sarah Borchert. Ein Weg, der für sie mit 14 Jahren begann.
Damals hatten sich alle ihre Freunde für den klassischen Teenager-Tanzkurs angemeldet. „Dann mache ich auch einen. Und dann reicht’s auch“, habe sie sich gedacht. Wie man sich irren kann. Denn: „Irgendwie fand ich es gut“, erzählt Sarah Borchert. „Ich fand, dass es cool aussieht – und das wollte ich auch können.“ Was folgte, waren weitere Kurse, Hospitationen, bald sämtliche Tanzabzeichen des ADTV. Irgendwann war in der Tanzschule alles ausgereizt. Also meldete sich die Jugendliche bei einem Duisburger Tanzverein an, es wurde professioneller. Sie sei da „irgendwie reingerutscht“, meint sie und lacht.
Ein Trainer erkannte ihr Talent
Den entscheidenden Impuls allerdings setzte letztlich ihre Mutter. Diese hatte in jener Zeit den TSC conTAKT Düsseldorf entdeckt, einen queeren Verein, „der für alle offen ist, die sich nicht dem klassischen Paartanz zugehörig fühlen, wo Männer führen und Frauen folgen“, wie Sarah Borchert es zusammenfasst. Ihre Mutter sei vor allem davon ausgegangen, dass sie in diesem Verein „jemanden daten könnte“, meint sie mit einem Schmunzeln. Gefunkt hat es tatsächlich, allerdings auf tänzerischer Ebene. Sie hat dort Christian Wenzel kennengelernt, ihren Trainer, der ihren weiteren Weg maßgeblich prägen sollte. „Er hat mein Talent erkannt, mich auch in schwierigen Phasen unterstützt. Und nicht mehr locker gelassen.“
Das tat er aus gutem Grund: Talent traf bei Sarah Borchert auf Ehrgeiz. „Es gibt beim Tanzen einfach keinen Endpunkt, man will immer besser werden“, meint sie. Längst hatte sie sich zudem vom klassischen Rollenbild gelöst, schon in der Tanzschule die Führungsschritte stets mitgelernt. „Ich bin zu den Jungs und habe sie gefragt, wie das geht“, erinnert sie sich. Bald tanzte sie mit ihrer ersten Tanzpartnerin erfolgreich führend Latein auf Turnieren, mit ihrer zweiten schaffte sie es bei den Deutschen Meisterschaften erstmals aufs Treppchen.
Es gibt beim Tanzen einfach keinen Endpunkt, man will immer besser werden.
Es ging weiter und weiter, aus zwei Trainingseinheiten in der Woche wurden bis zu fünf, seit mittlerweile vier Jahren fungiert Borchert zudem selbst als Trainerin. „Es ist schon so, dass ich in der Woche 15 Stunden mit Tanzen beschäftigt bin“, sagt sie. Doch der Aufwand lohne sich: „Tanzen hat sich für mich immer gut angefühlt. Das ist körperlich und geistig auslastend und erfüllend“, schwärmt sie, Latein ganz besonders. Das sei irgendwie freier als Standard, der Look und die Musik gefallen ihr zudem besser. Trainer Christian, selbst mehrfacher Weltmeister im Equality-Tanzsport, habe ihr alles beigebracht, was sie wissen wollte.
Und Tanz sei anspruchsvoll, eine Mischung aus Leistungssport und Kunst, sagt sie. „Es geht um mehr als Technik“, macht sie deutlich. „Es geht um die Verbindung zu einem anderen Menschen. Tanzen ist Teamarbeit, Paartanzen funktioniert alleine nicht.“
Tanzen ist Teamarbeit
Diese besondere Verbindung verspürt Sarah Borchert seit Februar 2022 zu Ute Graffenberger. Die 39-Jährige vom TTC Rot Gold Köln hatte lange Zeit ausschließlich mit Männern getanzt, „egal wo ich gewohnt habe“, berichtet sie. „Vom Tanzen kommt man nicht mehr los.“ Als die Bibliothekarin 2015 von Münster nach Köln zurückzog, habe sie zunächst aber keinen Tanzpartner gefunden. Es sei dann die Anfrage gekommen, ob sie sich auch eine Tanzpartnerin vorstellen könne. „Ich habe das ausprobiert und fand es toll“, sagt sie. Was Ute Graffenberger zunächst nicht wusste: Die Anfrage kam von einer Deutschen Meisterin im Equality-Tanzsport. „Hätte ich das gewusst, ich hätte mich nicht getraut.“ Was schade gewesen wäre, holten sie gemeinsam doch drei Mal den deutschen Titel, wurden Europameister 2017 und Dritte bei der WM 2018.
Und so kam es, dass Ute Graffenberger und Sarah Borchert 2019 mit ihren damaligen Tanzpartnerinnen erstmals bei den Deutschen Meisterschaften gegeneinander antraten. „Sie ist mir gleich aufgefallen, weil sie so gut war“, erinnert sich Ute Graffenberger an Sarah, die bei ihrer ersten Teilnahme auf Anhieb den 2. Platz machte, hinter ihrer heutigen Tanzpartnerin. Später seien sie sich dann öfter beim Gruppentraining des TTC in Köln begegnet, man hat ein paar Worte gewechselt, fand sich sympathisch. „Ich habe damals schon regelmäßig auch in Köln trainiert, weil hier die Räume für ein freies Training zur Verfügung stehen, das ist nicht bei jedem Verein gegeben“, erläutert Sarah Borchert. Als während der Coronapandemie dann ihre damaligen Tanzpartnerschaften zur gleichen Zeit auseinandergingen, kam die Idee auf, es gemeinsam zu versuchen. „Wir haben beide schnell gemerkt, dass das passen könnte, tänzerisch und menschlich“, sagt Sarah Borchert.
Der Tanz muss zum Paar passen
Das Menschliche ist ein bedeutender Faktor. „Ich sehe Ute häufiger als meine Familie oder meine Freunde“, meint die 27-Jährige. Drei bis vier Mal in der Woche trainieren die beiden Frauen nun gemeinsam, Einzeltrainings kommen obendrauf, dazu teure Privatstunden. Ein Jahr dauere es im Schnitt, bis eine erstellte Choreografie tanzsportlich bearbeitet sei. „Die Schritte sind schnell gelernt“, sagt Sarah Borchert. Schwieriger sei es, die Feinheiten auszuarbeiten und den Tanz passend zum Paar zu gestalten. Doch das war ganz offensichtlich der Fall: Die beiden haben in Berlin nicht nur die Wertungsrichter überzeugt. Man habe auch viel Zuspruch aus dem Publikum bekommen, freut sich Ute Graffenberger. „Meine ganze Familie und meine Freunde waren angereist“, ergänzt ihre Tanzpartnerin mit einem breiten Grinsen. „Die sind ausgerastet, haben geschrien und gejubelt.“

Es soll nicht der letzte Jubel gewesen sein: Die Deutschen Meisterschaften 2024 sind ihr nächstes, großes Ziel. Es wird eine Art Heimspiel, werden diese doch in Köln stattfinden. Ute Graffenberger ist ohnehin zuversichtlich. „Mit Sarah Turnier zu tanzen ist ein Traum. Ich bin vor dem Auftritt ein Nervenbündel und sie strahlt so eine Ruhe aus.“ Ihre Tanzpartnerin fühlt sich geschmeichelt: Das zwischen ihnen sei einfach stressfrei und harmonisch, und sie kann das auch erklären. „Wir haben beide das gleiche Ziel, und wir arbeiten dran.“ Manchmal, räumt Sarah Borchert ein, vergesse sie, dass es ein Hobby ist, kein zweiter Job. „Aber wir lachen viel beim Training, das nimmt den Druck raus“, merkt Ute Graffenberger an. Sie schätze vor allem Sarahs trockenen Humor.
Diesen bringt Sarah Borchert auch in ihrer neuen Arbeitsstelle im KuK ein, dazu ihr analytisches Denken und ihr Organisationstalent. Ganz fremd ist ihr das Referat im Übrigen nicht, sie hatte das Team schon während ihrer Ausbildung zur Kauffrau im Gesundheitswesen kennengelernt, für die sie mehrere Bereiche der Stiftung durchlaufen hatte. Nach Abitur und einem Bachelor in Erziehungswissenschaften hatte sie sich bewusst für eine praxisnahe Tätigkeit entschieden, „mit Menschen“, wie sie sagt. Die Unternehmenskommunikation biete ein vielfältiges Aufgabengebiet und den breitesten Überblick. „Das hat mich gereizt. Und ich mag die Leute“, sagt sie und lächelt.
Video: Jive mit Sarah Borchert und Ute Graffenberg
Führungswechsel inbegriffen
Das oft aufgesetzt wirkende Lächeln hingegen, das man von Profitänzern sonst kennt, ist bei den Equality-Meisterschaften nicht zwingend für eine gute Wertung, was Sarah Borchert freut. „Positive Ausstrahlung und Freude werden hingegen gern gesehen.“ Zudem gebe es keine Kleidervorschriften, sagt sie. „Es kann jeder tragen, was er will.“ Bei ihr sei es meist eine Latein-Hose und ein schwarzer Body, sie habe aber auch ein Outfit mit Strass. Ihre Tanzpartnerin Ute trug in Berlin hingegen ein korallfarbenes, maßgeschneidertes Oberteil, ein echter Hingucker. Und noch eine Besonderheit zeichnet den Tanzsport der beiden aus: Führungswechsel sind zulässig, selbst mitten im Tanz. An manchen Stellen ihrer Choreografie nutzen die beiden das mit Freude aus. Aus völlig freien Stücken.
Und dann noch Vize-Europameisterinnen
Kurz nach Fertigstellung des Artikels für die Printausgabe der recke:in traten Sarah Borchert und Ute Graffenberg bei den Europameisterschaften im Equality-Tanz an. Und auch dort holten sie Silber! Dazu gratulieren natürlich auch die Kolleginnen und Kollegen in der Graf Recke Stiftung.