Ressourcen wecken
Im Ahorn-Karree der Graf Recke Stiftung in Hilden wird Pflege neu gedacht. Einrichtungsleiter Marek Leczycki spricht von einem »Paradigmenwechsel«, der Mensch stehe als Person im Mittelpunkt, nicht seine Pflegebedürftigkeit. Den sogenannten Präsenzkräften wird im neuen Konzept eine zentrale Rolle zukommen. Zolikha Tebeque und Petra Zaß befinden sich am Ende ihrer einjährigen Weiterbildung und sind immer wieder überrascht, was man bei Menschen mit schwerer Demenz an Ressourcen entdecken und fördern kann.
Jahrzehntelang«, sagt Marek Leczycki, »haben Altenheime versucht, Krankenhäuser zu kopieren. Aber Altenheime sind keine Krankenhäuser.« Und weil das so ist, hat sich in den Einrichtungen der Graf Recke Stiftung bereits in den vergangenen Jahren viel geändert. Jetzt aber, da der Umzug aus dem Haus Ahorn ins neu gebaute Ahorn-Karree im Dorotheenviertel Hilden näher rückt, spricht der Einrichtungsleiter von einem »Paradigmenwechsel «. Man werde »Altenpflege neu denken«. Und damit meint Leczycki nicht allein den Neubau, es geht ebenso um das Konzept mit sogenannten Präsenzkräften. Es sei die »endgültige Abkehr von der Funktionspflege hin zum ganzheitlichen Ansatz«.
Zolikha Tebeque und Petra Zaß haben die neue Arbeitsweise längst verinnerlicht. Sie gehören zur mittlerweile dritten Gruppe von Mitarbeitenden aus dem Haus Ahorn, die seit November 2021 die rund einjährige berufsbegleitende Ausbildung zur Präsenzkraft durchläuft. »Ich wurde gefragt und habe sofort Ja gesagt«, berichtet Petra Zaß, die seit 33 Jahren im Haus Ahorn als Pflegeassistentin tätig ist. »Weil ich wusste, dass man in der Ausbildung sehr viel lernt«, nennt sie den Grund für ihr großes Interesse. Zolikha Tebeque, seit 2012 Alltagsbegleiterin der Menschen mit schwerer Demenz, sieht das genauso – und freut sich ebenfalls: »Wir lernen für die Arbeit, aber auch für uns privat«, sagt sie.

Dies hat damit zu tun, dass künftig »der Bewohner als Person im Mittelpunkt stehen wird, nicht der pflegebedürftige Mensch«, wie es Marek Leczycki ausdrückt. Dieser soll ihm zufolge zudem ein Umfeld erleben, das ihn an sein Zuhause erinnert, in weitaus kleineren Hausgemeinschaften statt der bisherigen großen Wohnbereiche. Natürlich werde es weiterhin Pflegefachkräfte geben, betont der Einrichtungsleiter. »Aber der pflegende Profi kommt vorbei, wie zu Hause.« In den Präsenzkräften hingegen verschmelzen laut Leczycki die Professionen Grundpflege, Hauswirtschaft und soziale Betreuung.
Die Pandemie und der Ukrainekrieg haben die Wiederaufbaumaßnahmen im Ahorn-Karree weiter verzögert. Ein Wasserschaden hatte das Leuchtturmprojekt 2020 kurz vor dem ursprünglichen Einzugstermin zurückgeworfen. Die neue recke:in 3/2020, die Mitte September erscheint, berichtet von den Menschen, die sich nun noch weiter gedulden müssen: den Seniorinnen und Senioren mit schwerer Demenz, ihren Angehörigen, und von den Mitarbeitenden, die sich fachlich auf das neue Konzept des Leuchtturmprojekts vorbereiten. Das Heft kann vorbestellt werden: Einfach eine Mail mit Namen und Adresse an reckein@graf-recke-stiftung.de senden. Wer in den Verteiler aufgenommen werden und einmal im Quartal das aktuelle Unternehmensmagazin zugesendet bekommen möchte, kann dies ebenfalls an diese Mailadresse mitteilen.
Als qualifizierte Alltagsbegleiterin ist Zolikha Tebeque an dieser Aufgabenbeschreibung schon recht nah dran: Sie begleite Bewohnerinnen und Bewohner bei den Mahlzeiten, gehe mit ihnen spazieren, koche, backe oder spiele mit ihnen, erzählt die 53-Jährige. »Das macht mir viel Freude, die Menschen geben einem viel zurück«, so ihre Erfahrung. »Gerade, wenn sie merken, dass man sie ernst nimmt.« Der Bewohner, sagt sie, egal in welcher Welt oder Zeit dieser sich gerade wähnt, habe immer recht. »Und ich muss gucken, dass ich darauf eingehe. Aber das ist Alltag für mich, das fällt mir leicht.«

Petra Zaß geht das genauso: Neben der Pflegeassistenz ist sie ebenfalls in die soziale Begleitung eingebunden. »Und ich werde immer wieder überrascht, was Menschen trotz schwerer Demenz doch noch können«, meint sie. Dass etwa eine Frau, die meist stumm dasitzt, plötzlich doch mit dem angebotenen Ball spielt – und dabei lacht. »Es ist ein schönes Gefühl, die Ressourcen bei den Leuten zu wecken«, sagt sie. Keine Frage, die beiden Frauen fühlen sich in ihrem Beruf, bei den Menschen im Wohnbereich 5 und 6, am richtigen Platz – und haben diese Begeisterung sogar an die nächste Generation weitergegeben. Alle drei Kinder von Zolikha Tebeque, die einst als staatlich geprüfte Hauswirtschafterin ihre berufliche Laufbahn begann, sind im sozialen Bereich tätig. Der Sohn von Petra Zaß arbeitet zwar in der Industrie, »der geht nach dem Papa«, erzählt sie mit einem Lachen. Aber ihre Tochter ist examinierte Altenpflegerin. Diese Ausbildung nachzuholen, sei eigentlich auch ihr Plan gewesen, räumt sie ein. Dieser sei im Berufsalltag aber »immer irgendwie im Sande verlaufen«. Umso schöner, dass sie jetzt, mit 53 Jahren, tatsächlich eine für sie wertvolle Zusatzqualifikation erwirbt.
Drei bis vier Mal im Monat wurden Zolikha Tebeque und Petra Zaß auf dem Weg zur Präsenzkraft ganztägig unterrichtet, zumeist von externen Expertinnen und Experten. »Wegen Corona hat vieles leider online stattgefunden«, sagt Petra Zaß. Aber sie verstehe das, gelernt hätten sie dennoch viel. Es ging um Kommunikation genauso wie etwa um die Affolter-Methode. Bei dieser Interaktionstherapie führen die Präsenzkräfte die Hände der Demenzkranken in Alltagssituationen, um dadurch ihre Wahrnehmung zu fördern und Handlungskompetenzen zu erhalten.
Wohlbefinden und Lebensqualität
Ein weiteres Beispiel aus der Weiterbildung sei die Aromapflege, berichtet Zolikha Tebeque. Ziel dieser basalen Stimulation sei die allgemeine Steigerung des Wohlbefindens und der Lebensqualität der Menschen, der Einsatz reiche von Handmassagen bis hin zur Unterstützung einer Schmerztherapie. Es sei »erstaunlich, was man mit ätherischen Ölen bei den Bewohnern erreichen kann«, sagt Zolikha Tebeque. Ihre Kollegin nickt.
Und so freuen sich beide sehr auf die erweiterten Möglichkeiten im Neubau. Vor zwei Jahren habe man ja die Kisten bereits gepackt gehabt, dann kam der Wasserschaden im Neubau dazwischen, erinnert sich Zolikha Tebeque. Jetzt wünschte sie, sie wäre schon da. Auch Petra Zaß kann es kaum erwarten. Allerdings werde man sich im Ahorn-Karree, in neu zusammengestellten Teams zumal, die Strukturen wohl erst erarbeiten müssen, glaubt die künftige Präsenzkraft. »Wir müssen alte Gewohnheiten ablegen, um das Neue umzusetzen«, sagt sie. »Das wird ein langer, aber schöner Weg.«