Elternbeteiligung ist wie Spinat
Wie lassen sich Eltern im Rahmen von Maßnahmen der Jugendhilfe erfolgreich einbinden? Diese Frage diskutierten Fachkräfte und Eltern beim Fachtag der Graf Recke Erziehung & Bildung gemeinsam. Die wohl wichtigste Erkenntnis: Wenn Eltern sich gehört fühlen, empfinden sie Beteiligung als Gewinn für sich und ihr Kind. Häufig allerdings erst im Rückblick.
„Elternbeteiligung, das ist wie Spinat“, sagte Remi Stork. „Eigentlich ist es gut…“ Der Professor für Kinder- und Jugendhilfe an der Fachhochschule Münster fasste als Moderator beim Fachtag der Graf Recke Erziehung & Bildung in der Graf Recke Kirche die Herausforderung beim Thema „Eltern-Beteiligung“ gleich zu Beginn trefflich zusammen. Dass es im Rahmen von Maßnahmen der Jugendhilfe am besten gemeinsam geht, darin waren sich die rund sechzig Teilnehmenden ganz offensichtlich einig, ob pädagogische Fachkräfte, Vertreter des Kinder- und Jugendrats und der Jugendämter – oder die anwesenden Eltern selbst. Und so waren sie alle gekommen, um im Austausch auf Augenhöhe Antworten darauf zu finden, wie die Umsetzung denn gelingen möge.

Denn eigentlich sollte es dafür „selbstverständlich Strukturen geben“, betonte Remi Stork, der selbst zum Thema Partizipation forscht. „Aber es gibt keine etablierte Kultur der Elternbeteiligung.“ Zweifellos gebe es gelungene Beispiele, von denen man im Laufe des Tages einige vorstellen werde, so der Diplom-Pädagoge. Aber es seien insgesamt „wirklich noch viele Gespräche notwendig“, weshalb er die Idee des Fachtages auch so gut finde.
Geschäftsbereichsleiter Michael Mertens liegt das Thema ebenfalls sehr am Herzen, er weiß aber auch, dass es „einer doppelten Anstrengung bedarf“, wie er in seiner Begrüßung anmerkte. Dass nicht nur personelle und finanzielle Ressourcen notwendig sind, sondern zudem die Eltern gewonnen werden müssen. „Oft wollen sie das gar nicht. Wir müssen Eltern unterstützen, ihre Rechte wahrzunehmen“, sagte Mertens. Er erhoffe sich vom Fachtag Impulse dafür, wie man dies in der Stiftung am besten umsetzen könnte.

Denn: „Im Prinzip haben wir keine Wahl. Es steht so im Gesetz“, betonte Hans-Ullrich Krause, der gemeinsam mit Nicole Knuth dem Fachtag in der Graf-Recke-Kirche ein Impulsreferat voranstellte. Die beiden Pädagogen, sie Professorin an der FH Dortmund, er an der ASH Berlin, sind nicht nur Vorsitzende der Internationalen Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGFH), sie haben jüngst im Rahmen eines Forschungsprojekts zum Thema zudem Eltern nach ihren Wünschen und Bedürfnissen befragt. Ihre Erkenntnis: „Wenn wir die Eltern nicht einbeziehen, fühlen sie sich wie weggeworfen“, sagte Nicole Knuth. Die Wahrnehmung hänge im Wesentlichen davon ab, „dass sie sich gehört fühlen“.
Man fange zum Glück nicht bei null an, in den vergangenen Jahrzehnten sei viel passiert, versicherte Hans-Ullrich Krause. Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen etwa sei „gesichert, wenn auch in unterschiedlicher Qualität“. Bei Eltern von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung funktioniert dies laut Krause ebenfalls gut. Die Forschung aber zeige, dass Eltern bei der Hilfe zur Erziehung „eher noch Zaungäste“ seien. Nicole Knuth kann das erklären: „Zu Beginn der Erziehungshilfe wird dies als Eingriff und Krise erlebt.“ Die Bereitschaft der Eltern sei am Anfang entsprechend gering.

Wie man das ändern könnte? „Wir müssen Bündnisse erschließen, zum Wohle der Kinder und der Eltern“, so Hans-Ullrich Krause. „Kommunikation ist das A und O.“ So wollten Eltern nicht nur hören, was schlecht läuft, sondern auch, „dass das eigene Kind ein anderes getröstet oder fünf Tore geschossen hat“.
Zum anderen zeigten die Befragungen, dass nur rund die Hälfte der Eltern Kontakt zu anderen Eltern habe, und die Verantwortung dafür oft bei sich selbst sehen, so Nicole Knuth. „Positive Gemeinschaftserfahrungen aber erhöhen das Interesse. Die meisten Eltern wünschen sich, dass die Fachkräfte organisatorisch helfen, zum Beispiel mit einem Elterncafé.“ Und so plädieren die Experten für die „Entwicklung einer Kultur des Willkommenseins“ in den Wohngruppen
Johanna Hamm hat dies genau so erlebt, als ein Sohn von ihr 2022 aufgrund familiärer Probleme in die 5-Tage-Gruppe Wittlaer eingezogen war: „Ich fühlte mich von Anfang an beteiligt“, berichtet die Mutter von vier Kindern am Rande des Fachtags. „Ich hatte aber erst mal Probleme, das anzunehmen“, räumt sie ein. Geholfen haben ihr demnach vor allem die dort angebotenen Familiengespräche, „in denen ich so angenommen wurde, wie ich bin“. Es sei klar geworden, dass die Schwierigkeiten vor allem in ihrer eigenen Familiengeschichte begründet liegen.
Heute fühlt sich Johanna Hamm als kompetente Mutter, „mehr denn je“, wie sie sagt. Die gute Nachricht nämlich: Sie und ihr Sohn befinden sich bereits in der Rückführung, der Entlassungstermin ist im Oktober. „Das war mein Ziel für 2024, dass ich alle meine Kinder wieder im Haus habe“, erzählt sie mit einem Strahlen.

Johanna Hamm
halfen die Familiengespräche.
Und so war es für sie genauso wenig eine Frage, sich beim Fachtag einzubringen, wie für Stephan Alfes. Sein Sohn hat bis vor vier Jahren in der damaligen 5-Tage-Gruppe Ratingen gelebt, doch der Kontakt zu Familientherapeutin Simone Kern sei nie abgebrochen, erzählt er. Auch er sei in der ganzen Zeit beteiligt worden, „als Selbständiger manchmal zu sehr“, meint er mit einem Lachen.
Die Anfangszeit hat er ebenfalls als schwierig empfunden, als es mit seinem Sohn zu Hause nicht mehr weiterging und er sich in der Folge Hilfe geholt hatte. „Aber Frau Kern blieb dran, das war wichtig“, sagt Stephan Alfes. „Letztendlich war es das Beste, was meinem Sohn und mir passieren konnte“, weiß er heute. Man müsse das Gesamtbild betrachten, „was man aus dieser Zeit mitnimmt für seine Familie. Wenn man es denn annehmen möchte“.
Und so decken sich die persönlichen Erfahrungen mit den Ergebnissen aus der Forschung: Bei aller Skepsis zu Beginn, empfindet der Großteil der Eltern den Einbezug im Rahmen der Jugendhilfe im Rückblick als Gewinn. Es sei Teamarbeit, die man gemeinsam leiste, war man sich beim Elternrat einig. „Denn wir sollten als Eltern Vorbild sein. Von wem sollten die Kinder es sonst lernen?“, meinte ein Vater.

Stephan Alfes
blieb immer im Kontakt.
„Mama und Papa sind die wichtigsten Personen für die Kinder. Wir sollten ihnen auf Augenhöhe begegnen, egal was für eine Geschichte sie mitbringen“, zeigte sich Erzieherin Doris Appel-Hofmann in einem der Workshops überzeugt. Deshalb finde sie den Fachtag zu diesem Thema „klasse“ und sie freue sich sehr, dass eine Mutter aus der Regelgruppe Mathildenstraße sie heute begleite.

Die Ideen, die man nach den ersten Diskussionsrunden zusammengetragen hatte, waren durchaus vielschichtig. Feste seinen wichtig, Aktionstage auch, lauteten zwei Vorschläge. Eine Willkommensmappe könnte ebenso hilfreich sein wie ein eigener Raum für Gespräche. Man müsse die Eltern bestärken, betonte derweil Pädagogin Nicole Knuth. Auch wenn große Studien noch fehlten, zeige die qualitative Forschung zur Elternbeteiligung in der Jugendhilfe „eine klare, positive Richtung“. Hans-Ullrich Krause konnte dem nur beipflichten: „Wir tragen da auch eine Botschaft in die Welt: Weil es richtig ist für die Kinder, für die Eltern und letztlich auch die Organisationen.“