Miteinander weiterkommen
Auf dem Areal der Graf Recke Stiftung in Düsseldorf-Wittlaer startet im Frühjahr ein Angebot für junge Menschen mit Asperger-Syndrom oder atypischem Autismus. Die Verantwortlichen freuen sich über ein »von Grund auf neu aufgebautes Projekt«. So wurde bereits bei der Ausgestaltung der Wohngruppe Einbrungen auf die speziellen Bedürfnisse der Zielgruppe Rücksicht genommen. Auf unnötige visuelle Reize wurde beispielsweise verzichtet, dem Miteinander kommt im neuen Zuhause der Jugendlichen dafür umso größere Bedeutung zu.
Bis vor Kurzem wohnten an der Einbrunger Straße 74 in Düsseldorf- Wittlaer Heranwachsende, die sich auf ein Leben in Eigenständigkeit vorbereiteten. Doch im Sommer 2020 wurde das Verselbstständigungsprojekt »Wohngemeinschaft Schwarzbach « am Campus der Graf Recke Stiftung beendet. In diesem Frühjahr wird in die mittlerweile umgebauten Räumlichkeiten wieder Leben einkehren, sieben Jugendliche finden dort dann ein neues Zuhause. Das Besondere: Die künftigen Bewohnerinnen und Bewohner haben allesamt Unterstützungsbedarf – und das Haus wird speziell

Aufgenommen werden in der neuen »Wohngruppe Einbrungen« junge Menschen zwischen 12 und 17 Jahren, bei denen der Verdacht auf das Asperger-Syndrom oder atypischen Autismus besteht oder dies bereits diagnostiziert wurde. Vereinzelt betreue man im Fachbereich bereits jetzt Jugendliche mit diesem Störungsbild, »doch die Anfragen haben sich gehäuft«, sagt Fachaufsicht Beate Thewes. Daher sei die Idee entstanden, speziell für diesen Bedarf etwas anzubieten. Vor einigen Jahren schon hatte sich die Diplom-Sozialwissenschaftlerin daher »konzeptionell Gedanken« gemacht, wie sie sagt. Doch diese seien zunächst in der Schublade verschwunden. »Im Rahmen der Schließung der WG Schwarzbach wurde das nun wieder aktuell.«
Im Austausch mit dem Autismus- Therapie-Zentrum Rhein-Wupper, mit dem man auch künftig kooperieren wird, wurde in der Folge das Konzept endgültig ausgearbeitet, wie Guido Krähahn berichtet. »Über mehrere Wochen und über alle Ebenen des Fachbereichs hinweg.« Der Sozialpädagoge wird die Teamleitung in der neuen Wohngruppe übernehmen, die für die jungen Bewohner »die persönliche Entwicklung, die gesellschaftliche Inklusion und die Erarbeitung einer tragfähigen und an die Bedürfnisse angepassten schulischen und beruflichen Perspektive« zum Ziel hat, wie man dies am Ende des Prozesses offiziell festhielt. »Über allem aber steht die Beheimatung der Jugendlichen«, betont Beate Thewes.
Guido Krähahn, der bereits die WG Schwarzbach verantwortete, freut sich über »ein spannendes Projekt«, das man in einem multiprofessionellen Team von acht Leuten »von Grund auf neu aufbaut«. Und das ist in diesem Fall wörtlich zu nehmen: Wenngleich Menschen mit Asperger-Syndrom oder atypischem Autismus über eine Regelintelligenz verfügen, wie es in der Fachsprache heißt, also zum Teil durchaus ein Gymnasium oder eine Realschule besuchen, ist ihre Wahrnehmung der Welt zuweilen eine andere. Darauf haben die Verantwortlichen nun bereits bei der Ausgestaltung der neuen Wohngruppe Rücksicht nehmen können.

»Kochen, ohne sich eingeengt zu fühlen«
»Wir haben beim Umbau beispielsweise darauf geachtet, keine unnötigen visuellen Reize zu setzen«, sagt Guido Krähahn, gehe Autismus doch zuweilen mit Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörungen einher. Man habe die Wände und Decken deshalb in »warmen, gedeckten Farben gehalten«, nennt Fachaufsicht Beate Thewes ein Beispiel. »Nicht zu bunt.« Die Küche wiederum wurde deutlich vergrößert, wofür eigens eine Wand eingerissen wurde. »Damit die Jugendlichen zusammen kochen können, ohne dass sich jemand eingeengt fühlt«, erläutert Teamleiter Krähahn.
Probleme mit Nähe und Distanz könnten für die Jugendlichen, je nach individuellem Störungsbild, eine Rolle spielen, wie die Experten erläutern. »Das ist aber bei allen unterschiedlich stark ausgeprägt«, sagt Beate Thewes. Schwierigkeiten, sich in andere hineinzuversetzen, können bei dem einen oder anderen ebenso ein Thema sein, genauso wie die Strukturierung des Alltags, ergänzt Guido Krähahn. Und so wird man in der Wohngruppe Einbrungen nicht nur zahlreiche Hinweisschilder finden, wo beispielsweise die Teller stehen und wo die Schüsseln. Es wird zudem um eine feste Tagesstruktur gehen – und um das Miteinander.
»Wie nehme ich Kontakt auf zu anderen Menschen? Wie beginne oder beende ich ein Gespräch?« Dies werden laut Beate Thewes wiederkehrende Themen im gelebten Alltag sein. Dass gleich sieben Jugendliche mit ähnlichem Bedarf in einem Haus zusammenleben, wird da zum Vorteil. »Sie werden sich im Flur treffen oder beim gemeinsamen Essen«, sagt Guido Krähahn. Im Team frage man sich beispielsweise, ob das Sofa im gemeinsamen Wohnzimmer wohl von mehreren Jugendlichen gleichzeitig genutzt werden wird. »Wir nennen sie schon jetzt die Trainingscouch«, meint er mit einem Lachen. Darüber hinaus gibt es für die Bewohner einen Freizeitkeller und einen kleinen Garten – aber auch stets die Möglichkeit, sich in die Einzelzimmer zurückzuziehen.
Und doch: Der Kontakt zu anderen ist für die jungen Leute allein durch die zentrale Lage auf dem Campus in Wittlaer zwangsläufig. Die Schulen der Graf Recke Stiftung liegen gleich um die Ecke, Sportplatz, Supermarkt und Bäckerei befinden sich in fußläufiger Entfernung. Der Bus hält zudem direkt vor der Tür, die Anbindung an die Stadt ist somit ebenfalls gegeben.
Beste Voraussetzungen also für das neue Projekt der Graf Recke Stiftung, die laut Beate Thewes mittlerweile im Autismus Landesverband NRW aufgenommen worden ist und somit gleichermaßen im Bundesverband, einer Vereinigung zur Förderung von Menschen mit Autismus. Regelmäßige Fortbildungen zum Thema sind für die Mitarbeitenden daher selbstverständlich. »Es wird ein Hilfesystem sein, das die Bewohner wirklich weiterbringt«, davon ist Teamleiter Krähahn überzeugt.
Keine Sorge um ehemalige WG
Doch auch um die früheren Mitglieder der Schwarzbach-WG muss man sich laut ihres ehemaligen Teamleiters keine Sorgen machen: Ein Teil der Heranwachsenden ist nach der Auflösung der Wohngemeinschaft im Sommer in die Wohngruppe »Sprungbrett « nach Oberhausen umgezogen. Die anderen haben ihr Ziel sogar bereits erreicht: Sie leben jetzt in ihrer eigenen Wohnung.