Als Jürgen Büstrin 2008 das damalige Haus Berlin als Geschäftsführer übernahm, war ihm nicht klar, ob es überhaupt bei der Graf Recke Stiftung bleiben würde. Heute ist der Standort in Neumünster das Leuchtturm-Projekt der Graf Recke Stiftung im hohen Norden. Nach 17 bewegten Jahren geht Jürgen Büstrin jetzt in den Ruhestand.

Es ist ein Zitat, das nur wenige gerne auf sich beziehen würden: „Weit gebracht hast du es ja nicht.“ Jürgen Büstrin aber konnte herzlich lachen über die erkennbar ironische Bemerkung seines alten Rektors, als die beiden sich Jahrzehnte nach ihrer gemeinsamen Zeit an der Gemeinschaftsgrundschule Brachenfeld begegneten. Denn die liegt auf der anderen Straßenseite des Seniorenheims Haus Reckeblick, dessen Geschäftsführer Jürgen Büstrin seit 17 Jahren ist. Ende September geht er in den Ruhestand.
Jürgen Büstrin zitiert seinen alten Rektor gern, kann er doch auf einen Berufsweg zurückblicken, auf dem er es unstrittig weit gebracht hat: Als der gelernte Krankenpfleger und studierte Gesundheitsökonom 2008 das stationäre Seniorenzentrum Haus Berlin, heute das Haus Reckeblick im Graf Recke Quartier Neumünster, als Geschäftsführer übernahm, war die gemeinsame Zukunft mit der Graf Recke Stiftung völlig ungewiss. 17 Jahre später ist der Standort in Neumünster das Leuchtturm-Projekt der Graf Recke Stiftung im hohen Norden.
Zukunft ungewiss
Er habe von Anfang an beim Stiftungsvorstand dafür geworben, die bereits begonnenen Sanierungen des Hauses aus den 1970ern zu finalisieren und gemeinsam die Zukunft zu gestalten. „Geben Sie uns eine Chance“, habe er anlässlich des Besuchs des damals ebenfalls neuen Finanzvorstands Petra Skodzig gesagt, erzählt Jürgen Büstrin.
Der neue Geschäftsführer bekam diese Chance. Gemeinsam sanierten Mutter- und Tochtergesellschaft das 175-Betten-Haus baulich wie wirtschaftlich. Besonders betont Jürgen Büstrin das hohe Engagement der Mitarbeitenden in dieser Zeit, und auch die wussten den Rückenwind aus Düsseldorf zu schätzen. „Wir waren hier in Neumünster anfangs ziemliche Alleinkämpfer“, erinnert sich Jürgen Büstrin. „Aber es war mir ein großes Anliegen, dass sich die Mitarbeitenden als Teil von Graf Recke verstehen.“ Das sollte sich dann später auch darin ausdrücken, dass die Neumünsteraner sich für einen neuen Namen entschieden: Aus der Haus Berlin wurde Haus Reckeblick.
Es war mir ein großes Anliegen, dass sich die Mitarbeitenden als Teil von Graf Recke verstehen.

Doch die weiteren Herausforderungen standen schon Schlange. Jürgen Büstrin erinnert an den fortwährenden Kampf mit dem Fachkräftemangel, berichtet von der Recruitingreise nach Albanien und der Verschärfung der gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen. Ambulant vor stationär, auf diese Forderung der Politik brauchte es Antworten. Für Jürgen Büstrin war immer das Mantra: „Es geht nicht um ambulant vor stationär, sondern man muss beides verzahnen.“
Wechsel in der Geschäftsführung
Jürgen Büstrin gibt die Geschäftsführung der Haus Reckeblick gGmbH am 1. Oktober ab. Einer seiner beiden Nachfolger und verantwortlich vor Ort ist Martin Irmer, bislang Bereichsleiter Pflege im Graf Recke Quartier Neumünster. Für ihn schließt sich damit auf gewisse Weise ein Kreis. Wir stellen den neuen Geschäftsführer vor.
Eine weitere wegweisende Weiche wurde ab 2015 gestellt. Damals fand in Neumünster eine Pflegekonferenz statt. Die Botschaft: Wir brauchen nicht einfach mehr vollstationäre Pflegeplätze. Es braucht neue Ideen.
Und die hatte Jürgen Büstrin. „Ich wollte für Neumünster eine Versorgungssituation, bei der sich die Menschen das auswählen können, was sie brauchen und wünschen.“ Und dann gab es da die Brachfläche in direkter Nachbarschaft. „Die Pflegekonferenz war initial, sich um dieses Grundstück zu bewerben und konzeptionell das Graf Recke Quartier Neumünster zu entwickeln“, so Jürgen Büstrin. Petra Skodzig, damals Alleinvorstand in Düsseldorf, gab auch hier wieder „voll Rückendeckung“, so Büstrin, und sorgte dafür, dass der Grundstückserwerb zügig über die Bühne ging.
Eröffnung zum 200. Geburtstag
Die Schlange der Herausforderungen wurde dadurch freilich nicht kürzer. Das Haus Reckeblick, das bis dahin mit seiner guten wirtschaftlichen Aufstellung die Grundlage für die Realisierung des Quartiers geschaffen hatte, verzeichnete erstmalig hohe Leiharbeitsquoten und ab 2019 erste defizitäre Jahre, erinnert Jürgen Büstrin – fast zeitgleich zum Baubeginn. Corona und steigende Baukosten taten ihr Übriges. Doch 2022 war es so weit: Das Graf Recke Quartier Neumünster wurde feierlich eröffnet – ein Highlight zum 200. Geburtstag der Graf Recke Stiftung. „Damit sorgen wir für eine umfängliche Leistungskette und einen Ort, an dem niemand alleine ist“, freute sich Jürgen Büstrin. Das neue Quartier ist schon jetzt eine richtige Erfolgsgeschichte. Und das Haus Reckeblick war immer ein wichtiger Teil davon.“
Doch die wachsenden Probleme im stationären Bereich lösten sich dadurch nicht in Luft auf. Und deshalb packte Jürgen Büstrin auch hier noch einmal an: Um die Personalsituation zu entschärfen, vermietete er zunächst die oberste Etage an eine externe Intensivpflege. Im nächsten Schritt ließ er die dritte und vierte Etage zu Wohnungen umbauen, um dort – ergänzend zum Angebot in den Neubauten nebenan – weitere 22 Plätze im „Wohnen mit Service / Betreuung“ zu schaffen und damit die große Nachfrage für diese Wohnform zu befriedigen. In kürzester Zeit waren alle Wohnungen vermietet. Die Zahl der stationären Plätze liegt heute bei 100 statt einst 175. Für Jürgen Büstrin war das „auch eine Entscheidung eines Arbeitgebers zugunsten der erschwerten Arbeitssituation der Mitarbeitenden“. Das ganze Haus Reckeblick profitiere vom Einzug der neuen Bewohnerinnen und Bewohner, weil diese sich aktiv in die Angebote des Hauses und im ganzen Quartier einbringen: „Auf einmal gibt es wieder Menschen im Haus, die im Vorbeigehen Hallo sagen, selbstständig aus- und eingehen, den Mitarbeitenden wie auch den in ihrer Mobilität eingeschränkten Menschen guttun und dem verstaubten Image der stationären Pflege entgegenwirken.“

Jürgen Büstrins letzten Monate in der Geschäftsführung waren auch von gesundheitlichen Einschränkungen geprägt. „Es waren umtriebige und belastende Jahre“, gesteht er. Ans Aufgeben habe er aber nie gedacht. „Die Graf Recke Stiftung war mein bester Arbeitgeber, ich habe hier ein Höchstmaß an Autonomie und eine hohe Vertrauensbasis gespürt“, sagt der 62-Jährige. „Das hat mich motiviert: Wenn du keine Schranken spürst kannst du auch über Schranken hinwegdenken.“
Auch seine Nachfolge hat Jürgen Büstrin passgenau geregelt: Martin Irmer war 2023 als Leiter des ambulanten Pflegedienstes recke:mobil im Graf Recke Quartier Neumünster gekommen und hat sich über die Bereichsleitung Pflege für das ganze Quartier zum neuen Geschäftsführer in Neumünster entwickelt. Nun übergibt Jürgen Büstrin ihm so etwas wie sein Lebenswerk und sagt: „Ich freue mich, dass ich ein gut bestelltes Feld hinterlasse.“ Angesichts der Schlange der Herausforderungen keine Selbstverständlichkeit, dass der scheidende Geschäftsführer konstatieren kann: „Wir sind wirklich auf gutem Weg.“

Wohl wahr: Ende 2024 gewann das Graf Recke Quartier Neumünster den Pflegeleuchtturm des Landes Schleswig-Holstein. Bei einem Vor-Ort-Besuch sprach Landessozialministerin Aminata Touré von einem „tollen Beispiel, wie die Zukunft der Pflege aussehen könnte“. Und Finanzvorstand Petra Skodzig sah sich in ihrer Abschiedslaudatio in ihrer damaligen Entscheidung bestätigt: „Wir beide sind seinerzeit nahezu zeitgleich in unserer Stiftung gestartet und werden mit etwas zeitlichem Abstand auch in den Ruhestand eintreten. Wir standen damals vor extrem großen Herausforderungen in Neumünster. Durch Ihre Innovationskraft und Ihren unermüdlichen Einsatz haben Sie in unserer Stiftung Maßstäbe gesetzt und das erste Leuchtturmprojekt im Stiftungsverbund mit Strahlkraft geschaffen.“
Um es weit zu bringen, reicht es manchmal, die Straßenseite zu wechseln.