Eltern brauchen Unterstützung

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Die Graf Recke Erziehung & Bildung veranstaltete im September 2024 einen Fachtag zum Thema „Elternbeteiligung“. Im Interview spricht die Dortmunder Partizipationsforscherin Nicole Knuth, die an der Veranstaltung ebenfalls aktiv beteiligt war, über die hilfreiche Einbeziehung der Eltern in Jugendhilfemaßnamen, über Krisen zum Start und Erfolge beim Gelingen.

Eltern im Rahmen der Jugendhilfe zu beteiligen, kann zum Erfolg dieser Maßnahmen beitragen, so deuten dies Erkenntnisse aus ihrer Forschung an. Was aber macht Partizipation gerade in diesem Bereich so herausfordernd?

Die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen ist ein großer Einschnitt in das Leben von Eltern und Kindern. In der Regel stürzen Eltern dadurch in eine Krise, die zu bewältigen einige Zeit dauern kann, manche bewältigen sie nie. Auch Kinder befinden sich im Ausnahmezustand, wenn sie von den Eltern getrennt werden. Die Bewältigung dieser Krise ist jedoch schon stark in die professionelle Arbeit einbezogen und wird an vielen Stellen unterstützt durch die Fachkräfte in der Heimerziehung. Die Krise bei Müttern und Vätern wird in diesem Maße oft noch nicht genügend wahrgenommen und es wird wenig Unterstützung angeboten. Unsere Forschung aber zeigt, dass die Bewältigung der Krise der Eltern zentral ist: Sie müssen darin unterstützt werden, weiterhin Kontakt zu ihren Kindern zu halten oder zumindest Informationen über diese zu erhalten, damit die Hilfe gelingen kann.

Wie kommt es dazu, dass dies aus Ihrer Sicht noch nicht in ausreichendem Maße geschieht?

Im Vergleich zur Situation etwa in der Arbeit in der Behindertenhilfe sind die Eltern in der Jugendhilfe oft von starker Stigmatisierung betroffen. Ihnen wird in der Regel die Schuld zugeschoben, dass es nicht geklappt hat, dass die Kinder aus der Familie herausgenommen werden. Die Jugendhilfe selbst trägt mitunter zu dieser Stigmatisierung bei. Dazu kommt ein weiterer Aspekt, der es für die Eltern besonders schwierig macht: Dass die Herausnahme oft einen erheblichen Zwangscharakter hat, obwohl die Eltern ihr Sorgerecht in den allermeisten Fällen behalten. Der Anteil der Sorgerechtsentzüge in der Heimerziehung lag zuletzt bei 16,4 Prozent. Dennoch wird zuweilen impliziert: Wenn sie als Eltern nicht kooperieren, werde man mit anderen rechtlichen Möglichkeiten agieren. Das haben uns die Eltern in unseren Befragungen immer wieder signalisiert.  

Beim Fachtag der Graf Recke Erziehung & Bildung im September erwähnten sie, dass die Eltern aufgrund der Krisensituation zu Beginn selbst oft nicht bereit oder in der Lage sind, sich einzubringen. Wie kann man dem entgegenwirken?

Eltern wünschen sich tatsächlich Hilfe, für sich selbst und für das Kind. Und wenn sie das Gefühl haben, dass sich die Situation für das Kind in der Gruppe verbessert, dann sind sie in der Regel auch deutlich kooperativer und empfinden dies als echte Hilfe und nicht mehr als Zwang. Dazu brauchen sie aber Informationen über ihr Kind. Und Orte, wo sie sich wohlfühlen können, auch in der Heimerziehung. Das heißt nicht unbedingt, dass man die Kinder treffen muss. Eltern wünschen sich aber Beratung durch diejenigen, die unmittelbar mit diesen umgehen, die ihre Kinder kennen. Externe Beratung ist für die Eltern dagegen oft schwierig, das haben sie schon so häufig erlebt. Sie wollen mit den Pädagoginnen und Pädagogen sprechen, die selbst die Schwierigkeiten im Alltag erleben, dass das Kind beispielsweise morgens nicht aufsteht und zur Schule geht. Wir haben jedenfalls bei keinem unserer Interviewpartner heraushören können, dass sie kein Interesse mehr an ihren Kindern haben. Sie wünschen sich vielmehr Beteiligung an den Hilfsmaßnahmen, wo etwa das Kind untergebracht wird oder zur Schule geht. Das ist in der Tat der Wunsch der Eltern. Und, dass es ihrem Kind gutgeht.

Wie könnte eine solche Beteiligung in den Einrichtungen konkret umgesetzt werden? 

In unserem ersten Projekt 2014, an dem auch die Graf Recke Stiftung beteiligt war, haben wir unterschiedliche Konzeptbausteine erprobt, wie Eltern am Alltag ihrer Kinder beteiligt werden können. Ein Baustein war, dass ein Elternbeirat in einer Einrichtung gegründet worden ist. Was in Schule und Kita ganz selbstverständlich ist, dass es Gremien gibt, zum Teil auch gesetzlich verankert, die die Mitsprache von Eltern garantieren sollen, ist in der Heimerziehung bislang nicht gegeben. Das kontinuierlich beizubehalten war aber auch in unserem Projekt schwierig, wie sich zeigte. Es gibt jedoch andere Bausteine, die sind einfacher umzusetzen. Zum Beispiel ein Elterncafé, wo Eltern ihre Fragen mitbringen und sich mit Fachkräften austauschen können, wo sie sich willkommen fühlen.       

Eltern wünschen sich Beratung durch diejenigen, die unmittelbar mit ihren Kindern umgehen, die ihre Kinder kennen.

Nicole Knuth, Professorin an der FH Dormund

Eltern untereinander haben zumeist ebenfalls kaum Kontakt, wie sie in ihren Interviews herausfanden. Läge in einer stärkeren Vernetzung eine Chance? 

In der Tat: Nur die Hälfte der Eltern, die wir befragt haben, hatte überhaupt jemals Kontakt zu anderen Eltern. Zugleich empfanden diese den gegenseitigen Kontakt als sehr hilfreich. In einem neueren Projekt haben wir mit Eltern gesprochen, die sich ganz konkret eine Art Selbsthilfe oder Selbstorganisation vorstellen könnten. Aber nicht alle Eltern wünschen sich das. Es scheint davon abzuhängen, ob sie davor schon positive Gemeinschaftserfahrung gemacht haben. Dann aber würden sie dabei gerne mitmachen, benötigen allerdings Unterstützung, das zu organisieren. Das wäre eine Aufgabe von Jugendämtern, aber auch von Einrichtungen.

Muss sich in diesem Bereich also auch politisch etwas tun?

Das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz von 2021 sieht vor, dass die Jugendämter Selbstorganisation fördern sollen, sowohl von Kindern und Jugendlichen, die sich vernetzen sollen, als auch von Careleavern, die die Jugendhilfe bereits verlassen haben, aber auch von betroffenen Eltern. Das gilt es jetzt umzusetzen. Wir hoffen, dazu im nächsten Jahr ein Projekt starten zu können. Wir wissen im Moment nämlich noch nicht genau, wie man das organisieren könnte, auch nicht, wie viel zusätzliches Personal es bräuchte, da es ja zusätzliche Aufgaben sind.   

Was wäre in Bezug auf Elternbeteiligung aus Sicht der Forschung noch wünschenswert?

Mir wäre es wichtig, dass Einrichtungen den Einbezug von Eltern noch stärker betonen und dies tatsächlich als einen zentralen Strang ansehen, um zugleich die Arbeit mit den Kindern zu verbessern und erfolgreicher zu machen. Dass dies bei jeder Aufnahme eines Kindes von Anfang an mitgedacht und mitkonzipiert wird. Das heißt nicht, dass es in jedem Fall zu einer Rückführung kommen wird. Es geht oftmals darum, dass einfach Beziehungen neu sortiert werden, das müsste die Jugendhilfe als ihre Aufgabe ansehen. Auch solche Fachtage wie im September, wo Eltern ganz selbstverständlich neben Fachkräften saßen, könnten helfen. Denn ganz zentral ist: Dass bei Konzeptentwicklungen die Eltern involviert sein müssen, damit diese ihre Wünsche und Interessen vorbringen können. Ohne das geht es eigentlich nicht. In diesem Sinne hat die Graf Recke Stiftung eine tolle Idee gehabt und das im Rahmen des Fachtages auch großartig umgesetzt. 

Nicole Knuth

Dr. Nicole Knuth, Jahrgang 1973, ist Professorin an der Fachhochschule Dortmund. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Kinder- und Jugendhilfe sowie Partizipation von Eltern und Kindern. Mit Hans-Ullrich Krause von der Alice Salomon Hochschule (ASH) Berlin bildet die Pädagogin den Vorsitz der Internationalen Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGFH). Gemeinsam haben sie bereits mehrere Forschungsprojekte durchgeführt, insbesondere Eltern in Maßnahmen der Jugendhilfe nach ihren Bedürfnissen befragt. Dem Fachtag zum Thema „Elternbeteiligung“ der Graf Recke Erziehung & Bildung im September 2024 stellten die beiden Wissenschaftler ein Impulsreferat voran und waren zudem an den anschließenden Workshops beteiligt. 

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