Wo Wünsche konkret werden: Teilhabemanagement in der Graf Recke Stiftung
Was macht ein Teilhabemanager? Was bedeutet Personenzentrierung? Und was sind die "neun relevanten Lebensbereiche der sozialen Teilhabe"? Mit dem Bundesteilhabegesetz ändern sich Begriffe. Doch vor allem soll es die Situation für Menschen mit Behinderung verbessern. Im Mittelpunkt steht das „Bedarfsermittlungsinstrument“. Das haben wir uns einmal genauer angeschaut und ein Gespräch zur Bedarfsermittlung mit Teilhabemanager Dennis van der Beck durchgespielt.
Dennis van der Beck ist Teilhabemanager der Graf Recke Sozialpsychiatrie & Heilpädagogik. Eine neue Stellenbezeichnung. Früher hat er in der besonderen Wohnform, also einem Wohnheim, aber auch im ambulanten Bereich gearbeitet. Heute ist es seine ausschließliche Aufgabe, Menschen mit Behinderung dabei zu unterstützen mit dem Ziel, Barrieren auf dem Weg zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu überwinden. Also Inklusion zu ermöglichen.
Im Zentrum und am Anfang dieses Wegs steht das "Bedarfsermittlungsinstrument" in Nordrhein-Westfalen, kurz BEI_NRW – ein einheitliches Instrument, mit dem Teilhabemanager und Leistungsberechtigter, also der Mensch mit einer Behinderung, herausarbeiten, welche Unterstützung dieser auf dem Weg zu mehr Teilhabe benötigt. "Hierbei handelt es sich um ein sogenanntes kooperatives Verfahren in enger Zusammenarbeit mit dem LVR ", erklärt Dennis van der Beck. Der LVR, der Landschaftsverband Rheinland, ist Kostenträger für die geplanten Maßnahmen.

Das Verfahren folgt den Vorgaben des neuen Bundesteilhabegesetzes, kurz BTHG. Das BTHG, so Dennis van der Beck, lege den Schwerpunkt auf einen "personenzentrierten Ansatz". Hier geht es also ausschließlich um den Menschen mit Behinderung, den Leistungsberechtigten, und darum, was er braucht, um teilhaben zu können. Also dabei zu sein: am Arbeitsmarkt. Gesellschaftlich. Auf dem Wohnungsmarkt. In der Freizeit.
Mehr Infos zur Graf Recke Sozialpsychiatrie & Heilpädagogik gibt es auf der Website.
Um eine Idee davon zu bekommen, wie diese Unterstützung konkret geschieht, hat der Autor dieses Beitrags ein Erstgespräch zur Bedarfsentwicklung mit Dennis van der Beck durchgespielt.
Vorweg die Frage an den Teilhabemanager: Wie kommt es überhaupt zu so einem Erstgespräch zur Bedarfsentwicklung? Meist beginne es mit einem grundsätzlichen Interesse des Leistungsberechtigten an einer ambulanten Betreuung, erklärt van der Beck. Ein Anlaufpunkt für den Interessenten oder auch Angehörige ist die Koordinierungs-, Kontakt- und Beratungsstelle (KoKoBe). Sie berät und unterstützt Menschen mit einer Behinderung, die sich mehr Selbstbestimmung wünschen oder bestimmte Ziele in diesem Sinne verfolgen. Auch das Sozialpsychiatrische Zentrum der Stiftung in Düsseldorf-Grafenberg auf dem Gelände der Graf Recke Sozialpsychiatrie & Heilpädagogik ist so ein niederschwelliger Anlaufpunkt.
Wunsch und Willen umkreisen
Die Anfragenden werden dann an die " Leistungsanbieter" verwiesen. So ein Leistungsanbieter ist die Graf Recke Stiftung. Und hier kommt das Teilhabemanagement ins Spiel. Zum Beispiel Dennis van der Beck. Einem ersten Kennenlernen folge in der Regel das Erstgespräch zu Bedarfserhebung, also das Interview im Rahmen des BEI_NRW.
Teilhabemanager van der Beck eröffnet das Gespräch mit einer Floskel: "Sind Sie gut hierhergekommen?" Diese Frage stellt er nicht aus reiner Höflichkeit. Vielmehr, erklärt er, wolle er direkt das Thema Mobilität und Selbstständigkeit anschneiden. Jede Frage, oder vielmehr die Antwort darauf, ist für Dennis van der Beck ein wichtiger Hinweis, um ein Bild vom Gegenüber zu bekommen. Er fragt nach Geschwistern, Kontakt zu anderen Familienangehörigen, Freundschaften. Er möchte wissen, wie der Kontakt gehalten wird, auf welchen Wegen und Kanälen, nach Freundschaften und sonstigen Personen aus dem Umfeld.
Jede Antwort ist ein wichtiger Hinweis.
Der Teilhabemanager fragt nach den Wünschen des Leistungsberechtigten in Sachen Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Tagesstruktur nach Kleinigkeiten, alltäglichen Verrichtungen wie Einkaufen oder Waschen. Dies alles geschieht in einem lockeren Gespräch, bei dem immer der Wunsch und Wille des Leistungsberechtigten umkreist wird.
Warum möchte Dennis van der Beck das alles so genau wissen? "Damit ich einen Eindruck habe und einordnen kann, wie das, was der Leistungsberechtigte macht, zu dem passt, was er sich wünscht." Er sagt, er müsse er ein Gefühl dafür entwickeln, ob die oder der Leistungsberechtigte die eigene Lage und Fähigkeiten realistisch einschätzt. Auch die Sicht von Angehörigen wird im Zuge der Bedarfsermittlung eingeholt. In der "ergänzenden fachlichen Sicht" fügt Dennis van der Beck alles zusammen.
Auf diesem Wege werden in der Regel neun vordefinierte Lebensbereiche durchstreift. Es geht um Lernen und Wissensanwendungen, allgemeine Anforderungen, Kommunikation, Mobilität, Selbstversorgung und häusliches Leben, Beziehung zu anderen Menschen, Bildung, Arbeit und andere Lebensbereiche, außerdem um "Gemeinschafts-, soziales und staatsbürgerliches Leben". Sehr theoretisch, aber wenn Dennis van der Beck nachfragt, wird es konkret. Er möchte auch wissen, wie sein Gegenüber so tickt. "Der Umgang mit Krisen und Stress, mit alltäglichen Anforderungen, ist auch ein wichtiger Faktor in der Einschätzung", sagt der gelernte Heilerziehungspfleger. Es geht um Dinge, die der Leistungsberechtigte kann, und solche, die ihn noch daran hindern, seine Wünsche zu realisieren. Er nennt das "Erhaltungsziele" und "Veränderungsziele".

Als Teilhabemanager ist Dennis van der Beck wie ein Eichhörnchen. Nur sammelt er Infos statt Nüsse. Er findet BEI_NRW gut, "man kriegt ein Bild und eine individuelle Planung ist damit auf jeden Fall möglich". Der Teilhabemanager nimmt alles auf, "ich lege nichts in den Mund und versuche herauszufinden, wo eigene Wünsche konkret werden".
Am Ende des Gesprächs stehen persönliche Ziele, Handlungsziele und Leitziele. So werden aus Wünsche konkrete und messbare Maßnahmen, so genannte Handlungsziele. Die Leitziele sollen über allem stehen und alle Maßnahmen führen daraufhin, ohne zeitliche Begrenzung. Jemandem komplett von Wünschen abzuraten, und seien die auch zum jetzigen Zeitpunkt nicht realisierbar, davon hält er nichts. Vielmehr gehe es darum, die Wünsche des Leistungsberechtigten sehr ernst zu nehmen und Rahmenbedingungen zu schaffen, innerhalb derer konkrete Schritte eingeleitet werden können.
Im Weiteren kommen andere Mitarbeitende ins Spiel, Kolleginnen und Kollegen von Dennis van der Beck. Auch für sie gibt es eine neue Stellenbezeichnung: Sie sind Assistenzen. Eine Assistenz kann eine unterstützende oder eine qualifizierte Assistenz sein, erklärt van der Beck. Die unterstützende Assistenz nimmt dem Leistungsberechtigten Tätigkeiten einfach ab, geht etwa für den Menschen mit Behinderung einkaufen. Die qualifizierte Assistenz dagegen macht einen solchen Einkauf anfangs gemeinsam mit dem Leistungsberechtigten und soll ihn Stück für Stück befähigen, selbstständig einzukaufen oder andere Hürden des Alltags selbstständig zu überwinden. Die Assistenz leitet an, trainiert und berät.
Nach dem Erstgespräch kommt der Erstantrag. Damit wird das weitere Verfahren eingeleitet. In den Erstantrag des BEI_NRW trägt Dennis van der Beck die Ziele und Maßnahmen ein, die gemeinsam mit dem Leistungsberechtigten erarbeitet wurden, und welcher Unterstützungsbedarf sich daraus ergibt. Der Plan wird für etwa zwei Jahre gelten und legt fest, was genau passieren soll, welche Unterstützung es dazu braucht und wer die leisten kann. Für die Unterstützung wird eine bestimmte Zahl an Fachleistungsstunden festgelegt – die Zeit, die eine Assistenz für die Unterstützung aufwenden darf.
"Kriegen jeden dahin, wo er möchte"
Wer welche Leistungen für ihn erbringt, das kann sich der Leistungsberechtigte übrigens selbst aussuchen. Es müssen also nicht unbedingt Mitarbeitende der Graf Recke Stiftung sein. Auch diese Wahlfreiheit des Leistungsberechtigten gehört zum neuen BTHG.
Dennis van der Beck macht deshalb schon mal Werbung für die Graf Recke Stiftung, wenn er sagt: "Wir kriegen eigentlich jeden dahin, wo er möchte."